16. Mai 2018
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Die Zahl der Schreibanlässe, mit denen wir Kinder zum Gestalten eigener Texte anregen möchten, ist schier grenzenlos. Wir alle nutzen zur Motivation:

  •          Wörter
  •          das Wort des Tages
  •          Sätze
  •          Geschichten, Märchen
  •          Erlebnisse
  •          Objekte, Gegenstände
  •          Gefühle
  •          Bilder, Kunstwerke
  •          Träume, Vorstellungen…

Und vieles mehr.

Ich möchte heute Schreibanlässe vorstellen, die – im weitesten Sinne – mit Hilfe der szenischen Didaktik die Kinder zur schriftlichen Gestaltung anregen.

Oft ergeben sich Schreibanlässe auch aus Sachthemen. Als wir uns mit der Legende von Landkarten, Wanderkarten, Sachbüchern usw. beschäftigten, schlug ich vor, eine Landkarte mit Legende zum Fach Deutsch zu erstellen.

In der bereits beschriebenen Sammelphase mit Hilfe von Cluster-Bildung oder Mind-Map fanden die Kinder folgende Inhalte des Deutschunterrichts für wichtig:

Lesen, Schreiben, Erzählen, Aufsatz, Grammatik, Märchen, Gedichte.

Wir einigten uns, dass Märchen und Gedichte im Lesen oder Schreiben schon enthalten sind. Also ergab sich, eine Landkarte und ihre Legende für die fünf Unterrichtsthemen zu finden.


Landkarte für das Fach Deutsch

Ich leitete die Kinder an sich zu entspannen, es sich im Sitzen oder Liegen bequem zu machen, die Augen zu schließen und sich mit mir auf eine Wanderung durch unterschiedliche Landschaften zu begeben…

Wir starteten mit dem Gebiet „Lesen“

„Schau dich um, wie sieht es aus im Leseland. Siehst du eine große bunte Wiese oder eher einen dunklen Wald? Gibt es Berge, die schwer zu erklettern sind, gibt es Schluchten, Seen oder reißende Flüsse? Ist der Weg steinig, steil und mühsam oder weich wie Moos und voller Überraschungen. Gleicht das Leseland einer Wüste oder blühenden Gärten?
Bewege dich durch das Land und spüre, wie du es erlebst, welche Bilder auftauchen, wenn du ans Lesen denkt. Du musst dich noch nicht festlegen, welches Symbol du für das Leseland wählen wirst. Lass dir Zeit und spüre erst einmal nach welche Landschaft für dich passt und wie es dir darin geht…“

Gestaltung der Landkarten

Mit diesen oder ähnlichen Worten führte ich die Kinder durch die 5 Deutsch-Landschaften und beendete die Fantasiereise indem wir wieder im Klassenzimmer ankamen.

Es gab Raum für einige spontane Äußerungen, die ich aber kurz hielt, weil die Kinder in ihren individuellen Vorstellungen bleiben und sich nicht gegenseitig beeinflussen sollten. Wie eigentlich erwartet war nach wenigen Antworten schon deutlich wie unterschiedlich die Deutsch-Landschaften erlebt wurden.

Inzwischen hatte ich ein DIN A 4 Blatt ausgeteilt, Stifte lagen schon bereit, und alle konnten mit dem Zeichnen ihrer ganz persönlichen Landkarte beginnen. Parallel dazu sollten die Kinder in einer Art Legende beschreiben, was die 5 Unterrichtsbereiche für die bedeuteten.

Im Folgenden möchte ich einige Beschreibungen und Landkarten wiedergeben:

B: Dies ist meine Deutschlandkarte. Da gibt es schöne Sachen und hässliche Sachen, leichte Sachen und schwere. Man muss halt durch ob man will oder nicht! Der See ist für mich wie lesen. Etwas Schönes. Das Diktat ist wie eine Straße, so grau und nicht schön. Aufsatz ist für mich wie ein Wald. Unendlich lang, man findet kaum mehr raus. Die Steine sind für mich Wörterbucharbeit, so schwer…

S: Lesen sind für mich die bunten Buchstaben. Rot = Freude, gelb: langweilig. Sprachlehre sind Berge von Verben, Adjektiven und Substantiven. Berge, auf die man sehr, sehr langsam hinauf kommt…Schwierige Wörter sind schwarz und grau. Es gibt immer schwierige Wörter und nie gibt es ein Wort, das man ganz richtig schreibt (wenn dann nur ein Genie).

M: Der Berg ist für mich immer so was Schönes wegen dem habe ich den Berg für das Diktat gewählt. Und das Meer ist für mich etwas Wunderbares und die Wörterbucharbeit macht mir da Spaß…

A: Aufsatz ist für mich wie ein  großer Wald, weil man richtig viel schreiben kann…

Erzählen ist ein schöner, langer Fluss. Den mag ich sehr…

T. hatte auf ihrer Landkarte noch einen dicken schwarzen Kreis gemalt und dazu geschrieben: Besonders Mathe finde ich höllendoof!

Bei dieser Arbeit war mir wichtig, die Kinder zu Bewusstheit und Achtsamkeit zu führen. Bewusstsein, dass es Menschen gibt, die genau so denken und fühlen wie ich und Bewusstsein, dass es andere Menschen gibt, die die gleiche Sache ganz unterschiedlich erleben; woraus folgt, dass jeder Mensch die Freiheit zu einem ganz persönlichen Denken und Fühlen und Handeln hat und darin respektiert werden soll.


Briefe schreiben mit der szenischen Didaktik

Auch im Zeitalter von E-Mail und SMS ist Briefeschreiben im weitesten Sinne immer noch Thema der Grundschule.

Eine Unterrichtseinheit, die zum Gestalten eines Briefes führen sollte, begann ich mit dem Thema „Botschaften“.

Eine Botschaft schreiben:

Es gibt ein einladendes Gedicht von Franz Wittkamp. Er lässt darin ein Wort in einzelnen Buchstaben auf ein Stück Papier fallen – nun kann es nicht mehr fort und gehört mir.

Ich spielte den Kindern diese Szene vor und forderte sie auf, sich ein Lieblingswort auszudenken, es wie im Gedicht aufs Papier fallen zu lassen (geht auch pantomimisch), es aufzuschreiben und zu verschenken. Diese Aktion machte viel Spaß, wie das Feedback ergab.

In einer anderen Stunde sollten sich die Kinder eine Botschaft ausdenken (dabei in den Rollentausch mit dem imaginierten Sender zu gehen), die Botschaft aufschreiben und sie sich selber oder einem anderen Kind in der Klasse zuschicken.

Nun war es Zeit zum Thema „Briefe“ überzuleiten.

Einen Brief schreiben mit Rollentausch

Sicher haben auch Sie schon Briefe an Freunde, Verwandte, Außerirdische, Respektpersonen usw. schreiben lassen. In der nächsten Unterrichtsstunde ließ ich die Kinder jedoch Briefe an sich selber oder Teile ihres Selbst schreiben. Dazu begeben sich die Kinder in einen Rollentausch und spielen, als ob sie jemand anderes wären.

Der erste Rollentausch fand mit dem Ohr statt; d.h. ich spreche das Kind (Paul) im Interview so an: „Du bist also das Ohr von Paul? Du Ohr, erzähl mal, was du so mit dem Paul erlebst…Bist du zufrieden mit ihm, wäscht er dich, beachtet er dich überhaupt? Weißt du, was er gerne durch dich hört oder gar nicht hören mag? Mag er eine bestimmte Musik? Du darfst ihm jetzt einen Brief zuschicken,  was möchtest du ihm schreiben? Beginne mit ‚Lieber Paul’ und unterschreibe dann mit ‚dein Ohr’!

In „ABC-Spielereien mit Nesel und Dölb“ im Klett Verlag finden Sie einen Beispiel- Text vom Ohr:

Hallo du!
Ich bin seit sechs Jahren dein Ohr.
Wasche mich,
damit du besser hörst!
Stecke mich in eine Mütze,
damit ich nicht friere!
Halte mich zu,
wenn jemand schimpft!
Und bloß kein Loch stechen
Für so einen silbernen Ring!
Das tut weh!
Viele Grüße!
Dein Ohr

 Diese Aufgabe hat die Kinder überrascht und motiviert, von verschiedenen Körperteilen einen Brief an sich selbst zu schreiben.: Lieber Max…. dein Fuß, oder : Liebe Leni…dein Mund… deine Hand…dein Herz… deine Augen…

Brief aus der Zukunft

Die folgende Brief-Aufgabe sollte die Kinder zu ihren Wünschen, vielleicht auch Sorgen führen. Die Anweisung lautete diesmal:

Schreibe einen Brief  aus der ZUKUNFT an dich!

Entscheide, wie alt du jetzt bist – 5 Jahre älter, 8 Jahre, 10 Jahre oder noch mehr?

In welcher Schule/Klasse bist du inzwischen (die Kinder befanden sich real in einer 4.Klasse kurz vor der Trennung, bzw dem Wechsel in andere weiterführende Schulen)? Bist du schon in einer Ausbildung oder sogar in einem Beruf?…

Als szenische Erwärmung für den zu gestaltenden Text (Brief) wählte ich eine Gartenparty, wo sich die Kinder in ihrem zukünftigen, gewählten Alter treffen sollten um aus ihrem Leben zu berichten:

Gegenseitige Fragen (als Hilfe) waren:

  • wie alt bist du jetzt eigentlich
  • in welche Schule/Klasse gehst du
  • bist du schon in einer Ausbildung
  • arbeitest du schon in einem Beruf
  • hast du schon eine eigene Wohnung
  • was macht dir Spaß
  • was ist jetzt leichter als damals, als du noch in der 4. Klasse warst
  • was kannst du inzwischen alles, was dir damals noch schwer fiel…

Nach dem Spiel folgte eine intensive Schreibphase in der sehr positive, ermunternde, aber auch fantastische Briefe entstanden: (die Namen sind geändert!)

St: Ich bin jetzt 14 Jahre alt und möchte dir, liebe Stefanie, erzählen, was ich so alles erlebe. Im Gymnasium habe ich viele neue Freunde. Die Lehrer sind bei uns ganz cool. Ich habe den Wunsch, einmal das Geschäft meines Vaters zu übernehmen. Ich schwimme gerne und Klavierspielen macht mir inzwischen auch Spaß. Ich bin auch stärker geworden. Jetzt kann mich meine Schwester nicht mehr so leicht verprügeln!
Deine Stefanie
PS: Ich wünsche dir, dass du die Sorgen von heute nicht mehr hast!

E: Lieber Emil!
Ich bin jetzt 21 Jahre alt, also 11 Jahre älter als du. Mir geht es sehr gut. Ich wohne in einer hübschen Wohnung in M. Ich bin inzwischen Soldat bei der Bundeswehr. Ich will zur Marine gehen. Ich habe erst einmal den Motorradführerschein gemacht.
Nun wünsche ich dir viel Glück und noch gute andere Sachen.
Dein Emil!
PS: Achte nicht auf meine Rechtschreibfehler. Nicht so wichtig!

Liebe 10-jährige Ute!
Ich bin jetzt 13 Jahre alt. Dein Wunsch, mit Sir William, dem weißen Pferd über Wiesen und Weiden zu galoppieren ist in Erfüllung gegangen. Ich sitze gerade hier im Gras und lasse Sir William an mir schnuppern. Au! Jetzt hat er mich gezwickt. Na ja, es hat nicht weh getan.
Übrigens wohnst du jetzt nicht mehr bei dir zu Hause, sondern auf einer mit Palmen bewachsenen Insel. Ach! Die Hausaufgabenplage ist vorbei. Die Schule ist nämlich kaputt, wir haben keine Schule mehr! Ich habe eine Taube zu dir geschickt. Keine Angst, die Zeit dauert gar nicht mehr lange.
Tschüss!
Deine 13-jährige Ute
PS: Sir William gehört jetzt dir!

Es gab noch viele ähnliche Texte, die ich nicht alle darstellen kann.

Eine andere beliebte „Anwärmung“ zum Schreiben ergab sich aus dem Montags-Erzählkreis. Die Kinder durften ihre Erlebnisse oder Träume vom Wochenende erzählen. Auf gemeinsamen Wunsch hin wurde immer eine Geschichte ausgesucht, die alle Kinder nachspielen wollten, oft auch in veränderter Form, verfremdet oder  mit einem anderen Schluss oder einer Fortsetzung. Dieses Spiel war dann die Vorlage für eine schriftliche Erzählung. Dazu führten wir ein Montags-Geschichtenheft!

Zusammenfassend kann ich nur bestätigen, dass die Kinder eine hohe Motivation und Freude am schriftlichen Gestalten hatten, wenn sie sich zuvor im szenischen Spiel „austoben“ konnten – sei es durch Rollentausch, Fantasiereise oder ein ganzes Rollenspiel.

Wenn Sie möchten, berichte ich in einem letzten Blogbeitrag über zwei interessante Unterrichts-Methoden aus der Szenischen Didaktik, die sich fächerübergreifend im Sinne der Bildung sozialer Kompetenzen und eines Selbstwert- und Achtsamkeitsgefühls erfahren lassen: die Soziometrischen Wahlen und das Soziale Atom.

Ich hoffe, ich konnte Sie wieder ein Stückchen mehr für das Szenische Spiel im Deutschunterricht begeistern und wünsche Ihnen – wie immer – viel Erfolg und Spaß!

Bettina Rinderle

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