17. März 2021
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Ein Interview mit Schulleiterin Alexandra Vanin-Andresen

Sehr gern hätte ich Alexandra Vanin-Andresen persönlich getroffen. Ich habe sie mehrfach in Vorträgen und Veranstaltungen erlebt. Von dort habe ich den Eindruck mitgenommen, dass sie „ihre Sache“ lebt. Aufgrund der aktuellen Lage habe ich die Schulleiterin der Otfried-Preußler-Grundschule in Hannover, die im Jahr 2020 den Deutschen Schulpreis der Robert Bosch Stiftung und der Heidehof Stiftung gewonnen hat, in einer Videokonferenz getroffen. Und auch hier war deutlich zu spüren, wie sehr Alexandra Vanin-Andresen dafür steht, offen und mutig neue Wege in Schule und Unterricht zu gehen.


Über Alexandra Vanin-Andresen

Alexandra Vanin-Andresen ist seit 22 Jahren Lehrerin. Sie ist fast 47 Jahre alt und hat drei Töchter. Studiert hat sie Sonderpädagogik, Grund-, Haupt- und Realschullehramt und hat sich immer schon der Inklusion verschrieben. Für Alexandra Vanin-Andresen ist es ein Menschenbild und keine Schublade. Gebündelt mit der Vision, eine Schule für Alle zu gestalten, in der jede und jeder für das Leben und weiter lernen darf, ist sie vor 7 Jahren mit einer Kollegin zusammen in die Schulleitung gegangen. Um nicht alleine zu kämpfen, haben sie sich als Team mit einer Förderschulkollegin innerhalb der Leitung aufgestellt. Sie nehmen ihre Schülerschaft mit ihren Potentialen und Fähigkeiten wahr und versuchen sie an den Herausforderungen wachsen zu lassen.

Porträt Frau Vanin-Andresen

Foto: A. Vanin-Andresen

1. Liebe Frau Vanin-Andresen, Sie und Ihr gesamtes Team sowie die Schülerinnen und Schüler Ihrer Schule haben im Jahr 2020 den Deutschen Schulpreis gewonnen. Wie fühlt sich das an?

Das fühlt sich sehr großartig an und ist eine tolle Bestätigung, ein schönes Lob für unsere Arbeit. Auch jetzt, wo Corona uns ein wenig den Dämpfer erteilt, da wir zurzeit weiter entfernt sind von unserer ursächlichen Arbeit zum Beispiel in altersgemischten Lerngruppen.

2. Wie und wann haben Sie sich auf den Weg zum Deutschen Schulpreis begeben?

Der Gedanke, sich um den Schulpreis zu bewerben, ist nach und nach gewachsen. Ursprünglich wollten wir uns weiterentwickeln. Im Frühjahr 2019 habe ich im Kollegium den Vorschlag gemacht, ob die Bewerbung nicht für uns ein Weg wäre. Denn wir hatten zu dieser Zeit das Bedürfnis: „Wir wollen raus – raus zu Schulen, um weitere Impulse zu sammeln.“ Und wir wollten ein neues Netzwerk bilden. Demokratisch haben wir dann darüber in der Schulgemeinschaft abgestimmt – Kinder, Eltern und Kollegium. Rund 80% haben zugestimmt. Mit einer Steuergruppe von zehn Personen sind wir ins Bewerbungsverfahren gestartet.

Und dann ging alles rasch. Wir haben uns zum Oktober 2019 beworben. Als wir unter den letzten 50 und den letzten 20 Schulen waren, führten wir Jurygespräche. Im Februar 2020, kurz vor dem Lockdown, fand dann der Schulbesuch des Teams vom Deutschen Schulpreis statt. Zwei Tage lang kamen mehrere Fachleute mit einem Kamerateam vorbei. Sie haben Gespräche mit Schülerinnen und Schülern, Eltern und auch dem pädagogischen Team geführt. An diesen Tagen war es eine sehr angenehme Atmosphäre, keiner war gestresst, fühlte sich beobachtet. Im Gegenteil: Wir waren fasziniert von der Beobachtungsgabe des Teams des Deutschen Schulpreises.

3. Was waren die Gelingensbedingungen?

Wir sind nicht in dem Bewusstsein gestartet, den Preis unbedingt zu gewinnen. Wir wollten ursprünglich über den Tellerrand blicken, Schulen aus anderen Bundesländern kennen lernen und hatten auch gehofft, unter die ersten 15 Schulen zu kommen. Dann hätten wir Teil des Entwicklungsprogramms werden können und uns im Austausch mit anderen Schulen weiterentwickeln können.

Durch den Schulpreis sind wir jetzt Teil im Hauptpreisträger-Netzwerk der Gewinnerschulen der letzten 16 Jahre. Das sind rund 80 Schulen. Es ist einfach toll, mit Menschen zu sprechen und auch arbeiten zu dürfen, die vom Gleichen sprechen.

4. Welche Hindernisse galt es, zu überwinden?

Natürlich gab es vor der Bewerbung auch die Gedanken: Was macht das mit uns? Wenn wir uns in den Arbeitsprozess begeben – und nicht wissen, ob es uns eine Entwicklung bringt? Natürlich ist solch ein Prozess eine zusätzliche Belastung – und da kommen eben diese Fragen auf. Und wir haben uns auch gefragt: Was passiert, wenn wir den Schulpreis gewinnen?

Rückblickend verstehe ich die Zweifel und Gedanken immer noch. Aber ich kann sagen: Ich kann die Bewerbung jeder Schule zur Selbstevaluation empfehlen. Man erhält so viele Impulse und auch Bestätigung. Die Erkenntnis, dass wir schon so viel machen, war sehr wertvoll. Und auch die Hinweise, woran wir weiterarbeiten können.

5. Was macht aus Ihrer Sicht die Otfried-Preußler-Grundschule in Hannover aus?

Unsere Haltung des weiten Inklusionsbegriff trägt uns bei unserer Arbeit. Wir sind so viele unterschiedliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Schülerinnen und Schüler und auch Eltern. Genauso wie unsere Kinder multiprofessionell sind, sind es unser Team und die Eltern. Wir schauen darauf, was diese mitbringen und was sie können. Wenn beispielsweise ein Kind im Rollstuhl ist, schauen wir darauf, was kann dieses Kind in unterschiedlichen Erfahrungsbereichen anderen Kindern beibringen – welche Erfahrungen kann es vermitteln? Und auch bei Lehrkräften schauen wir darauf, dass wir ihnen die Chance geben, Dinge zu tun, die sie wirklich gut können. Und das unabhängig von ihrer Lehrerinnen- bzw. Lehrertätigkeit. Denn dann sind sie ein Gewinn für unsere Schule – unabhängig von ihren Qualifikationen. Nicht jede oder jeder ist die perfekte Mathelehrkraft, aber dafür zum Beispiel eine tolle Pädagogin bzw. ein toller Pädagoge im Wald, im Schulgarten oder in der Imkerei.

Dieser Ansatz ist auch im System Schule immer möglich, wenn alle Personen sich für das Wohl der Kinder und der Gesellschaft einsetzen, wenn wir den Mut haben, uns aus der Komfortzone herauszubewegen und Barrieren im Kopf abzubauen.

6. Wie gehen Sie zurzeit – also in Zeiten der verschiedenen Szenarien des Lernens in Distanz – mit der besonderen Situation um? Wie organisieren Sie den Unterricht – und die Begegnung zwischen den an der Schule beteiligten Menschen?

Zurzeit ist es eine Melange aus verschiedenen Szenarien. Wir haben Wechselunterricht, Notbetreuung und eine Gruppe von Distanzlernerinnen und Distanzlernern. An jedem Tag ist Präsenzunterricht von 08.00 Uhr bis 12.00 Uhr an der Schule mit einer Kollegin bzw. einem Kollegen. Da bei uns im Team unterrichtet wird, betreut zeitgleich der andere Kollege bzw. die andere Kollegin die Kinder in der Distanz. Es finden Morgenkreise statt, der Tagesablauf wird besprochen, es wird danach gefragt, wo die Kinder stehen, woran sie weiterarbeiten werden, wer dabei helfen kann. Die Kolleginnen und Kollegen organisieren dabei die Arbeitsräume digital oder präsent und sind Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter für die Kinder.

Diese Form der Zusammenarbeit erfährt eine hohe Akzeptanz unter den Eltern. Hier haben wir sichergestellt, dass alle Kinder Endgeräte zur Verfügung haben und Zugang zu den Lernplattformen.

Was wir uns aber nicht nehmen lassen, das ist der „FREI DAY“, ein Lernformat von „Schule im Aufbruch“, das an unserer Schule etabliert ist. An diesem Tag widmen unsere Schülerinnen und Schüler sich Projekten zu nachhaltigen Themen, die sich mit der Zukunft befassen. In Zeiten des Distanzlernens gestalten wir diesen digital und analog mit Input. Zurzeit ist das Lernfeld „Alles, was im Haus anfällt.“ Da durchforsten die Kinder die Kleiderschränke und schauen, in welchen Ländern ihre Kleidung produziert wurde. Sie erstellen Statistiken dazu und teilen sie in der Schulgemeinschaft, um dann ein ganzes Schulergebnis zu erzielen. Es gibt Gruppen, die sich mit den Themen Wasser im Haushalt, Kinderarbeit, Plastikanteil in Kleidung, Müllaufkommen zu Hause, Müllvermeidung etc. beschäftigen. Den Kolleginnen und Kollegen, aber auch den Kindern ist dieses Lernformat des „FREI DAY“ besonders wichtig – eben auch in dieser Zeit.

7. Was war Ihr persönlicher Höhepunkt mit Blick auf den Deutschen Schulpreis?

Vor allem die Begleitung des Teams vom Schulpreis in der Zeit der Corona-Pandemie – mit allen Höhen und Tiefen im letzten Jahr. Es war ein absolut spannender Prozess und sehr ermutigend. Wir haben durch die Fachleute eine unglaublich qualifizierte Rückmeldung zu unserer Arbeit erhalten – sehr sensibel und sehr gut. Mich hat es unglaublich in dem bekräftigt, was wir tun – darin, dass es richtig ist.

8. Und wenn Sie nach vorn blicken und einen Wunsch äußern dürfen. Wie soll das Leben und Arbeiten in der Otfried-Preußler-Schule in fünf Jahren sein?

Im Prinzip genauso, wie es vor fünf Jahren aussah: mutig, interessiert, weltoffen und fehlertolerant. Einfach bestärkend in jeder einzelnen Idee, die aufkommt.

Liebe Frau Vanin-Andresen, ich bedanke mich sehr für das Interview.


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