15. April 2015
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Es ist eine Weile her, dass ich mich das erste Mal in diesem Blog gemeldet habe. Vielfältige Aufgaben, die Schule und Fortbildung mit sich bringt, hinderten mich am Verfassen eines neuen Beitrags. In dieser Zeit habe ich aber auch wieder einige Dinge mit Tablets ausprobiert, auch in Deutsch. Dafür wird dies nun ein umfangreicherer Beitrag.
In Deutsch stand nun im 1. Quartal des neuen Jahres das Schreiben zu Bildergeschichten an. Natürlich haben wir vorher schon viele Erlebniserzählungen verschriftet und auch zum Teil überarbeitet. Der erste „richtige“ Aufsatz ist aber schon etwas ganz Besonderes und bedarf mancher Mühe und vor allem Ruhe…
Das folgerichtige, verständliche Schreiben ist für viele Kinder meiner Klasse eine große Herausforderung: Einerseits die Bildergeschichte im Sinn zu erkennen, die Bilder genau zu beschreiben, auch zu schreiben, was zwischen den Bildern geschieht und andererseits noch Kriterien zu beachten, was zum Beispiel in eine Einleitung gehört und worauf im Bereich der Sprachmittel noch zu achten ist – das ist ganz schön viel!

Dieses Mal habe ich mich mit mit meiner Klasse dem Thema über das Erzählen von Bildergeschichten genähert – und das begleitet vom Tablet!

Zunächst gilt: Bildergeschichten zu erzählen ist etwas, das häufig gemacht wird – gemeinsam im Klassenverbund, mit dem Partner etc. Problem ist nur, dass das gesprochene Wort sofort „weg“ ist. Wie schnell sind die Kinder fertig, wenn man ihnen den Auftrag gibt, die Geschichte in Partnerarbeit zu erzählen? Nach ein paar Minuten stehen die ersten Paare bei mir und berichten, dass sie den Arbeitsauftrag erfüllt haben. Die Frage „Habt ihr wirklich alles erzählt und auf die Kriterien geachtet?“ wird bejaht. Eine Kontrolle über das, was erzählt wurde, ist nicht möglich. Die Geschichte, die erzählten Worte sind weg.

Aus diesem Grund ist der Erzählende auf die Rückmeldung des Zuhörenden angewiesen, über das Erzählte zu reflektieren. Der Erzählende selbst ist im Erzählvorgang sehr auf die Geschichte fokussiert und kann sich selbst nicht beobachten. Er benötigt Rückmeldungen Dritter. Jede Rückmeldung, ob nun positiv oder konstruktiv, ist aber eine gewertete Rückmeldung: Bestimmte Aspekte werden hervorgehoben, während andere vernachlässigt werden. Eine neutrale Rückmeldung kann nicht erfolgen. Eine wirkliche Weiterarbeit an den Erzählungen ist damit schwierig. Ich habe häufig die Erfahrung gemacht, dass Kinder, die nur schwer zusammenhängend erzählen können, auch Probleme beim Verschriften ihrer Geschichten haben.


 

Und genau hier setzt der Einsatz des Tablets an: Jedes Tablet hat Kameras und ein Mikrofon. Die Handlichkeit, die Einfachheit in der Bedienung und die Flexibilität garantieren, dass Aufnahmen von Fotos, Videos und Audioaufnahmen wirklich „mal eben“ als ein Bestandteil von Unterricht erfolgen können. Genau diese Funktionen sind es, die den Blick auf Unterricht bereichern und auch verändern können.

Die Klasse hat sich den Bildergeschichten über das Erzählen in mehreren Audioaufnahmen mit dem Tablet genähert. Jede leistungsheterogene Dreiergruppe erhielt ein Tablet, auf dem ich ein Arbeitsmaterial bereits aufgespielt hatte.

 

Die Titelseite der Bildergeschichte

Eine wirklich einfache App ist hier der Book Creator, mit dem digitale Bücher mit multimedialen Inhalten intuitiv erstellt werden können (hierzu in einem späterem Beitrag mehr).

Mein vorbereitetes Arbeitsmaterial war ein digitales Buch. Auf jeder Seite befand sich ein Bild der Bildergeschichte. Die Aufgabe der Kinder war es, sich zunächst die Bilder anzusehen und zu jedem Bild ein 2-3 Sätze in das Tablet zu sprechen. Die jeweilige Audiodatei, ein Button mit einem Lautsprecher, wird unter das Bild platziert. Zwischen den Bildern passiert aber auch etwas. So sollten die Kinder erzählen, was zwischen den Bildern geschieht und die Audioaufnahme zwischen die Bilder setzen. Zusätzlich sollte es gerecht zugehen und die Kinder sollten sich abwechseln.

Meine Beobachtung während solcher Arbeitsphasen mit Audioaufnahmen ist, dass sich die Kinder sofort nach dem Aufzeichnen das Erzählte anhören. Sie hören sich selbst und bekommen damit ein ungefiltertes und unbewertetes Bild ihres eigenen Sprachprodukts. So oft sie wollen, können sich die Kinder das Erzählte anhören. Sie können genau hinhören und auf unterschiedliche Aspekte achten. Dabei gehen die Kinder sehr kritisch mit sich und ihren Produkten um. Es bleibt nicht bei der einen Aufnahme, sondern diese Aufnahme wird korrigiert und verbessert. In kooperativen Arbeitsformen werden die Ergebnisse häufig von den anderen mitbewertet und gemeinsam an der Verbesserung gearbeitet.


 

Am Ende der 35 Minuten wurden alle Erzählungen vorgestellt (ja, das war der Wunsch der Kinder – es sollten alle Geschichten gehört werden – so stolz waren sie auf ihre Produkte!).

Dazu schloss ich die Tablets an Lautsprechern an. Die Reflexionsaufgabe war die Überprüfung, ob die Geschichte zu verstehen ist, was gut gelungen oder verbesserungswürdig ist. Die Kinder hörten die Geschichte ausschließlich – mit dem Kopf und Armen auf den Tisch, Augen geschlossen. Denn schließlich lesen wir am Ende der Reihe auch nur die Geschichte, ohne die Bilder zu sehen.

Nach zwei oder drei gehörten Geschichten entwickelten sich die Rückmeldungen in eine Weise, die ich so nicht antizipiert hatte: „Ihr habt gar nicht erzählt, dass Tim im Bett liegt“ oder „Es fehlt, dass es abends ist. Der Mond ist ja da.“ Stimmt! In der Bildergeschichte liegt ein Junge abends im Bett und bekommt nacheinander erst von Mama, dann von Papa eine Geschichte vorgelesen.

Da er danach immer wieder weint, weil er noch immer nicht einschlafen kann, legt sich am Ende der Papa ins Bett und schläft selber ein. Der Junge ist hingegen hellwach und holt daraufhin die Mutter.

Die Rückmeldungen der Kinder beziehen sich auf die Einleitung, in der die wichtigsten W-Fragen geklärt werden sollten. Viele Kriterien, die die Kinder sonst zum Schreiben der Geschichten erhalten, haben sie alleine durch das Hören der eigenen Lernprodukte selbst erarbeitet! So konnten wir schon festhalten, dass für die ersten Sätze in einer Geschichte der Ort und die Zeit wichtig sind. Rückmeldungen zu der Anfangssituation des Jungen und dass man genau erzählen muss, was nicht auf den Bildern zu sehen ist (Mama geht, spricht mit Papa, Papa kommt) gab es ebenso. Eine faszinierende Erkenntnis, dass sich die Kriterien aus den eigenen Werken der Kinder, nur aus dem Hören mit einem zeitlich überschaubaren Zeitumfang, entwickeln können!


 

In den darauffolgenden Einheiten haben wir die Kriterien weiter vertieft und versucht mit diesen zu arbeiten. Zum eigentlichen Finale, dem Aufsatz, bekam dann jedes Kind ein Tablet. Wieder war eine Geschichte mit Bildern auf dem Tablet. Jetzt musste jeder selber erzählen. Die Kinder suchten sich ein ruhigen Lernplatz innerhalb des Klassenzimmers, auf den angrenzenden Fluren, in Nachbarräumen und erzählten ihre eigene Geschichte. Daneben lag der Kriterienzettel. Haben die Kinder die Geschichte gesprochen, mussten sie sich selbstständig die eigene Geschichte anhören: Sind alle Kriterien beachtet worden? Muss nachgebessert werden? Die Kinder setzten sich intensiv mit dem Inhalt auseinander und zwar auf verbaler Ebene. Eine Audioaufnahme neu zu erstellen, ist wesentlich einfacher, als an bereits geschriebenen Sätzen Änderungen vorzunehmen.

Befanden die Kinder ihre Geschichte für gut, nahmen sie sich ihre Schreibzettel und schrieben die Geschichte auf: Oben lag das Tablet, die Kinder hatten Kopfhörer auf und schrieben ihre Geschichte nach ihrer eigenen Erzählung auf – quasi nach ihrem eigenen Diktat! Der Inhalt war bereits entlastet, so dass sich die Kinder auf das Schreiben konzentrieren konnten.

Einige Kinder, die den Umfang der Geschichte schriftlich nicht meistern konnten, sollten sich auf die verbale Ausarbeitung konzentrieren und nur einige wichtige Wörter zu den Bildern aufschreiben.

 

Die Kinder hörten sich vielfach ihre eigene erzählte Geschichte an.

Das Arbeiten auf unterschiedlichem Niveau, auch im Rahmen von Inklusion, wird hier sehr gut deutlich: Die einen erzählen nur, andere erzählen oder schreiben nur einzelne Wörter auf, und wieder andere schreiben die Geschichte vollständig auf. Hinterher zur Bewertung kann alles gleichermaßen kontrolliert werden: Jeder hat eine Geschichte entworfen, die anhand der Kriterien überprüft, überarbeitet und bewertet werden kann: Entweder rein verbal auf dem Tablet, teils-teils oder in schriftlicher Form!

Herzlichst
Ihre Stefanie Welzel

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