10. November 2023
40

Zahlendreher und Zifferntausch: Wenn Kinder in Fallen tappen, die uns die deutsche Sprache legt

Wer mit Kindern mathematisch arbeitet, stößt immer wieder auf Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben zweistelliger Zahlen. Da wird das gehörte „dreiundvierzig“ als 34 geschrieben; auf dem Papier steht 25 und das Kind liest „zweiundfünfzig“. 63 wird am Zahlenstrahl zwischen 30 und 40 gesucht.

Und mitunter kommt man erst mit einigem Nachdenken darauf, dass ein vermeintlicher Rechenfehler wie in der Abbildung (72–3=96) vermutlich als „richtig gerechnet, falsch geschrieben“ gewertet werden sollte: Vertauscht man im Ergebnis die Ziffern 9 und 6, wird es ja richtig…

Dass aber eine 9, gefolgt von einer 6, nicht für neunundsechzig steht – das ist doch wirklich verwirrend! Da lernt man als Kind, mitunter mühsam, dass beim Schreiben und Lesen von Wörtern in unserer Kultur die Richtung von links nach rechts einzuhalten ist. Und dann gibt es diese vermaledeiten Zahlwörter, bei denen es genau andersrum läuft: Wenn ich 96 lese, muss ich rechts anfangen, zuerst also die „sechs“ aussprechen, dann erst die „neun“, die links steht. Und dann auch noch das -zig dranhängen, weil die 9 nicht alleinsteht. (Aber aufgepasst, nur nicht einszig sagen, wenn vorne eine 1 steht, und auch nicht zweizig bei einer 2 …)

Viele Sprachen muten den Kindern, die in ihnen aufwachsen, Unregelmäßigkeiten in der Zahlwortbildung zu. Kaum eine Sprache ist dabei so fordernd wie die deutsche. Die Probleme, die wir in diesem Zusammenhang bei vielen Kindern zumindest vorübergehend, bei einigen leider auch als sehr hartnäckig wahrnehmen, sind zuallererst als Folge dieser – Pardon! – Idiotien der deutschen Sprache zu werten.

Aber natürlich können wir Kinder mehr oder weniger gut dabei unterstützen, mit den Zumutungen der deutschen Zahlwortbildung zurecht zu kommen. In diesem Blogbeitrag möchte ich dazu einige Überlegungen mit euch teilen. Sie beruhen auf einschlägiger Forschung, aber auch auf meiner eigenen langjährigen Arbeit mit Kindern, die in Mathematik Lernschwierigkeiten haben. Dazu zählen typischerweise oft auch Schwierigkeiten der oben erläuterten Art. Was könnte dagegen helfen, wie könnten solche Schwierigkeiten im Idealfall verhindert werden?


Grundlage für nachhaltige Problemlösung: Einsicht ins Stellenwertsystem

Wenn Kinder anhaltend Probleme mit dem Schreiben, Lesen und Verarbeiten von zweistelligen Zahlen haben, ist das nicht immer, aber oft, mit einem grundlegenderen Problem verbunden: Viele dieser Kinder haben das Stellenwertsystem unzureichend verstanden.

Für eine nachhaltige Lösung des Problems Zahlendreher & Co. ist es jedenfalls ratsam, zunächst zu überprüfen, welches Verständnis zweistelliger Zahlen ein Kind zeigt. Fehlen grundlegende Einsichten, sollten zuerst diese erarbeitet werden.

Entscheidend ist das Verständnis von zwei eng miteinander verknüpften Prinzipien. Zum einen müssen Kinder verstehen, was Zehner im Unterschied zu Einern sind (nämlich Bündelungen) und wie sie mit Einern zusammenhängen (je 10 Einer ergeben 1 Zehner). Zum anderen müssen sie lernen, dass in unserer Zahlenschrift dieselben Zeichen (Ziffern) sowohl für Zehner wie auch für Einer stehen können. Dabei ist nur an der Stelle, an der die Ziffer steht, erkennbar, ob sie uns die Anzahl der Zehner oder die Anzahl der Einer angibt.

Deshalb ist es so wichtig, die Stellen zu beachten und Regeln einzuhalten, die es dafür gibt: Zehner schreibt man links, Einer rechts.

Wir sollten die Herausforderung nicht unterschätzen, die es für Kinder bedeutet, diese Einsichten zu erlangen. Manche benötigen dafür ein hohes Maß an gezielter Unterstützung. Dafür ist eigenes Handeln mit geeignetem Material wichtig, wiederholt und über einen längeren Zeitraum; vor allem benötigen viele Kinder den wiederholten verbalen Austausch über diese Materialhandlungen, entlang von gezielten Fragen, die sie zum Nachdenken herausfordern. Zahlreiche Hinweise dafür findet ihr in den Förderkommentaren Sprache und Lernen zum Zahlenbuch 2.

Was nun aber mit Blick auf die angesprochenen Probleme mit der Zahlensprechweise meiner eigenen Erfahrung nach wichtig ist: Die grundlegende Arbeit am Bündeln und Entbündeln im Zusammenhang mit dem stellengerechten Aufschreiben von Zehnern und Einern sollte nicht belastet werden mit der Forderung, dass alle Kinder zugleich auch schon die verzwickte deutsche Zahlensprechweise erlernen müssen. Dieser wichtige Lernschritt kann warten – und er sollte auch warten, wenn sich zeigt, dass Kinder in diesem Bereich Probleme haben.

Wie soll das gehen? Ganz einfach, indem in der ersten Phase mathematisch korrekte alternative Zahlensprechweisen zugelassen und sogar gefördert werden.

Eine sehr lohnende wiederkehrende Aufgabe in dieser Zeit könnte etwa lauten: Nimm einen Haufen Steckwürfel, schätze, wie viele das sind, trage die geschätzte Anzahl in die Stellentabelle, und überprüfe deine Schätzung. Die Überprüfung sollte natürlich dadurch erfolgen, dass je 10 Würfel zu einem Zehner gebündelt werden, um feststellen zu können, wie viele Zehner und verbleibende Einer man zuvor genommen hat.

Bei alledem ist nicht erforderlich, dass Kinder rätseln müssen, ob 56 nun für fünfundsechzig oder sechsundfünfzig steht: Sie sollen sich auf die Frage konzentrieren, wie viele Zehner sie wohl aus den vorliegenden Würfeln bilden können. Wenn sie meinen, dass es fünf Zehner werden, dann lautet die Schätzung: „Ich denke, es sind 5 Zehner, und vielleicht noch ein paar Einer.“ Haben sie nach dem Bündeln dann doch 65 in ihrer Tabelle eingetragen, können sie berichtigen: „Es sind 6 Zehner und 5 Einer, ich habe mich vorhin etwas verschätzt.“

Diese Zehner-Einer-Sprechweise ist auch für jene Kinder von Nutzen, die mit dem Lesen und Schreiben zweistelliger Zahlen keine Probleme haben. Diese dürfen natürlich auch „fünfundsechzig“ zu 65 sagen. Aber es trägt auch für sie zu einem geschärften Stellenbewusstsein bei, wenn sie daneben auch die Sprechweise „sechzig und fünf“ oder eben „sechs Zehner und fünf Einer“ kennenlernen und benützen.


Stellenbewusstheit trainieren – auch mit dem Taschenrechner!

Um es noch einmal zu betonen: Eine nachhaltige Lösung des Problems Zahlendreher & Co. ist erst möglich, wenn Kinder Grundsätzliches über Zehner und Einer und die Zahlenschreibweise verstanden haben. Als Voraussetzungen für das gezielte Thematisieren der Standardsprechweise zweistelliger Zahlen sollte also Folgendes schon abgesichert sein:

  • Das Kind weiß, dass zweistellige Zahlen aus Zehnern und Einern zusammengesetzt sind.
  • Es weiß, dass Zehner eine Bündelung/Zusammenfassung von jeweils 10 Einern sind.
  • Das Kind kann in Zifferndarstellungen wie 74 auch ohne Hilfsmittel sicher unterscheiden, was die Zehner und was die Einer sind.
  • Das Kind kann Zahldarstellungen mit Zehnern und Einern (sowohl mit Systemmaterial wie auch symbolisch, z. B. 4 Z + 3 E, aber auch 8 E + 4 Z) in Ziffernschreibweise sicher aufschreiben, auch ohne Vorgabe einer Stellenwerttabelle.

Auf dieser Grundlage sind allfällige Probleme mit der Standardsprechweise in der Regel gut zu lösen. Mitunter braucht es aber auch dann noch viel Zeit und Geduld, bis ein Kind auch die nötige Sicherheit erlangt und Automatismen aufbaut. Was also kann helfen? Zunächst sollten die Besonderheiten der deutschen Zahlwortbildung mit den Kindern explizit thematisiert werden. Was ist daran halbwegs regelmäßig, wenn auch verdreht (Einer werden zuerst genannt, dann erst die Zehner)? Was ist dann zusätzlich auch noch außerhalb dieser Regel (-zehn und nicht einszig, zwanzig und nicht zweizig…)?

Auf dieser Basis geht es um das Training von konzentriertem, analytischem Hören. Ihr könnt z.B. den Kindern zweistellige Zahlen nennen; sie erhalten dazu den Auftrag, sich ganz auf die Anzahl der Zehner zu konzentrieren; diese Anzahl sollen sie dann stumm mit Fingern zeigen. So haben alle Kinder Zeit, nachzudenken. Ihr kontrolliert dann an den ausgestreckten Fingern und seht, wer noch mehr, wer weniger Übungsbedarf hat.

Abwechselnd sollte es dann auch um die Anzahl der Einer gehen. Auf dieser Basis erst sind Zahlendiktate sinnvoll. Dabei gilt aber die Regel: Zuerst das ganze Zahlwort hören, im Kopf nach Zehnern und Einern sortieren und in dieser Reihenfolge, also zuerst die Zehner, dann die Einer, die Tabelle befüllen. Das fordert dem Arbeitsgedächtnis der Kinder einiges ab: Sie müssen das Wort in seiner Gesamtheit speichern, Zehner und Einer unterscheiden und die zuerst gehörten Einer im Gedächtnis behalten, bis sie die Zehner notiert haben.

Für Kinder, die sich damit noch schwerer tun, ist es verführerisch, die Reihenfolge beim Schreiben umzukehren. Sie tun sich damit nichts Gutes, und falls Erwachsene ihnen den Rat zu dieser Schreibweise geben, ist dieser Rat kurzsichtig. Bei dreistelligen Zahlen kommt es dann erst recht zu Problemen. Und spätestens beim Eintippen von gehörten oder als Zahlwort gedachten Zahlen in eine Tastatur rächt sich, dass sie nicht automatisiert haben, ein Wort wie „dreiundvierzig“ in die Ziffernfolge 43 zu verwandeln.

Gerade Tastaturen können aber Kinder oft besser überzeugen, die Mühe des oben beschriebenen Trainings auf sich zu nehmen, als jeder gut gemeinte Rat eines Erwachsenen. Dem Rat kann ich folgen oder auch nicht. Wenn ich aber eine zweistellige Zahl in den Taschenrechner tippen möchte, dann MUSS ich die Zehner zuerst eintippen. Wenn nicht, steht dann am Display eine falsche Zahl. Kinder wollen aber doch in der Regel mit Geräten wie Taschenrechner oder Handy umgehen können.

Daher rate ich dazu, Taschenrechner (die es mittlerweile ja zu Schleuderpreisen gibt) auch für das Training der Zahlenschreibweise einzusetzen. Es geht um kurze, aber regelmäßige Übungen, in denen z.B. ihr eine Zahl nennt, die Kinder diese in den Taschenrechner tippen und dann mit der von euch erst nachträglich auch an die Tafel geschriebenen, korrekten Ziffernfolge vergleichen.


Soweit einige kurze Anregungen auf Basis eigener Erfahrungen. Es würde mich freuen, wenn ich euch einige neue Ideen liefern und davon überzeugen konnte, dass es lohnt, sie auszuprobieren. Über Rückmeldungen dazu freue ich mich!

Quellen:
Gaidoschik, M. (2015). Einige Fragen zur Didaktik der Erarbeitung des „Hunderterraums“.Journal für Mathematik-Didaktik, 36(1), 163–190. https://doi.org/10.1007/S13138-015-0071-3
Gaidoschik, M. (2015). Vermeidbare und unvermeidbare Hürden beim Erlernen des Rechnens bis 100. In A. Steinweg (Hrsg.),Entwicklung mathematischer Fähigkeiten von Kindern im Grundschulalter (S. 25–38). University of Bamberg Press.
Padberg, F., & Benz, Ch. (2021). Didaktik der Arithmetik (5., überarbeitete Auflage). Springer.
Scherer, P., & Moser Opitz, E. (2010). Fördern im Mathematikunterricht der Primarstufe. Spektrum.
Schipper, W., Ebeling, A., & Dröge, R. (2015). Handbuch für den Mathematikunterricht. 2. Schuljahr. Bildungshaus Schulbuchverlage.
Wartha, S., Hörhold, J., Kaltenbach, M., Schu, S. (2019). Grundvorstellungen aufbauen - Rechenprobleme überwinden Zahlen, Addition und Subtraktion bis 100. Westermann.
Danke!
40 Personen haben sich für diesen Beitrag bedankt.
Klicke aufs Herz und sag Danke.