13. September 2023
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Seit nunmehr 20 Jahren nimmt Deutschland an der internationalen Vergleichsstudie PIRLS (Progress in international Reading Literacy Study) teil. Bekannt ist diese hierzulande unter dem Namen IGLU (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung). Erhoben werden Daten zur Lesekompetenz, Lesemotivation und Lesefrequenz. Das Textverständnis wird auf unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden anhand von literarischen Texten (Kurzgeschichten) und informierenden Texten (z. B. Lexikoneinträgen und Faltblättern) getestet. Der Test beinhaltet sowohl offene Fragen als auch Multiple-Choice-Aufgaben. Die Studie gibt Aufschlüsse darüber, wie sich die Leseleistung von Viertklässlern über die Jahre verändert und wie die in Deutschland praktizierten Lesemethoden bzw. die Organisation des Leseunterrichts im Vergleich zu anderen Ländern abschneiden.

Lesekompetenzbegriff in der IGLU-Studie

Das Verständnis von Lesekompetenz folgt dem angloamerikanischen Literacy-Ansatz. Demnach muss der Leser einem Text relevante Informationen entnehmen sowie schriftliche Texte in Lebenskontexten verstehen, nutzen und reflektieren. Der Ansatz umfasst sowohl das informierende Lesen als auch das genießende Lesen. Lesekompetenz ist somit eine Schlüsselkompetenz für schulischen Erfolg und gesellschaftliche Teilhabe.

Kompetenzstufen nach IGLU

Kompetenzstufe I:
Erkennen und Wiedergeben explizit angegebener Informationen

Kompetenzstufe II:
Einfache Schlussfolgerungen ziehen

Kompetenzstufe III:
Komplexe Schlussfolgerungen ziehen, begründen, interpretieren

Kompetenzstufe IV:
Prüfen und Bewerten von Inhalt und Sprache

Zwar liegt Deutschland im internationalen Vergleich weiterhin im Mittelfeld, doch zeigt sich, dass ein Viertel der Schülerinnen und Schüler nicht die Kompetenzstufe 3 erreicht, die nötig ist, damit Lesen effektiv für das Lernen genutzt wird. Insgesamt ist die Leseleistung über die vergangenen 20 Jahre hinweg gesunken und es ist besorgniserregend, dass der Anteil an Kindern, die nur die Kompetenzstufen 1 und 2 erreichen, deutlich angestiegen ist. Diese Kinder befinden sich also auch nach Beendigung der Grundschulzeit im Leselernprozess. Nur ein geringer Prozentsatz an Kindern kann als starke Leser (Kompetenzstufe 4) eingestuft werden. Länder wie England, Bulgarien oder Singapur erzielen hier eine bessere Quote. Detaillierte Ergebnisse finden sich unter www.waxmann.com.

Ziel muss es folglich sein, eine geringere Streuung, einen geringeren Anteil schwacher Leser und einen höheren Anteil starker Leser hervorzubringen. Dies kann nur durch einen differenzierten, qualitativ hochwertigen Leseunterricht erreicht werden, der Benachteiligungen aufgrund sozialer Hintergründe (Kinder aus bildungsfernen oder nicht deutschsprachigen Familien) zu kompensieren vermag, wie es in Italien oder Dänemark besser zu gelingen scheint. Als direkte Reaktion auf die Studienergebnisse gibt es nun Bemühungen der Bundesländer, die Qualität des Leseunterrichts abzusichern. Nordrhein-Westfalen z. B. hat zur Qualitätsabsicherung das „3×20 Minuten“-Konzept eingeführt, in dem es um
verbindliche wöchentliche Lesezeiten geht. In Bayern gibt es bereits seit längerer Zeit Bemühungen, die inhaltliche Qualität abzusichern. Hierunter zählt das Förderprogramm FILBY, bei dem Partnerlesen und Lesen mit Sachhörtexten die Leseflüssigkeit verbessern sollen, Lesestrategien geübt werden und selbstreguliertes Lesen gefördert wird. Der LehrplanPLUS beinhaltet kompetenzorientierte Vorgaben zur Unterrichtsgestaltung, die in sämtlichen in Bayern zugelassenen Lehrwerken umgesetzt werden, so auch im Frohes Lernen 4 Lesebuch, das im Folgenden konzeptionell vorgestellt werden soll.


Leseförderung mit dem Frohes Lernen 4 Lesebuch

Das Frohes Lernen 4 Lesebuch baut auf dem Frohes Lernen 3 Lesebuch auf und knüpft an die dort erworbenen Lesestrategien an. Es ist in neun thematisch orientierte Kapitel unterteilt:

Lesebuch 4 Kapitel

Das Frohes Lernen Lesebuch 4 berücksichtig verschiedene „Bausteine“ zur Gestaltung eines optimalen, an den unterschiedlichen Voraussetzungen, Interessen und Neigungen orientierten Leseunterrichts, die Antworten auf die Ergebnisse der oben vorgestellten Studie liefern.


Lesetechnik verbessern

Bei etwa einem Viertel der Viertklässler scheint die Lesekompetenz nur unzureichend ausgebildet zu sein.

Wie die Studienergebnisse gezeigt haben, ist der Leselernprozess auch in Klasse 4 bei einer Mehrzahl der Kinder nicht abgeschlossen. Damit Kapazitäten für das sinnentnehmende Lesen frei sind, muss an der basalen Lesetechnik gearbeitet werden. Diese umfasst Leseflüssigkeit (automatisiertes Lesen in angemessenem Tempo), Lesegenauigkeit (fehlerfreies Lesen) sowie eine angemessene Betonung des Gelesenen. Um diese zu fördern, bieten sich Lautleseverfahren an.

Lesebuch 4 Lesetandem

Hierzu ist den Kapiteln die Methodenseite „Im Tandem lesen“ vorangestellt (s. auch LehrplanPLUS). Texte, die sich für diese Methode besonders gut eignen, sind mit einem Verweis auf die Methodenseite ausgewiesen. So sollte das Tandemlesen an unterschiedlichen Texten durchgeführt werden und zur festen Routine im Unterricht werden. Mithilfe von Audioaufnahmen zu einer Vielzahl an Texten kann ebenfalls die Methode „Lesen durch Hören“ angewandt werden (weiteres zur Methode). Zusätzlich finden sich im Frohes Lernen 4 Lesebuch an vielen Stellen Leseübungen auf Wort- und Satzebene. Die den Üben-Seiten vorgeschaltete Lesetrainingsseite beinhaltet Leseübungen zur Vorentlastung des Textes der Üben-Seiten (s. Differenzierung ermöglichen).


Lesestrategien einüben und Methodenkenntnisse aufbauen

Die Leseleistung ist über 20 Jahre hinweg gesunken und viele Schülerinnen und Schüler können das Lesen nicht nutzen, um zu lernen.

Jeweils auf der letzten Doppelseite der Kapitel werden Lesestrategien vorgestellt, die helfen, den Inhalt eines Textes zu erschließen. Die Strategien werden an einem Beispieltext vorgeführt, geübt und an weiteren Texten im Kapitel angewandt. In den Aufgaben werden u. a. antizipierendes Lesen (Formulierung von Erwartungen und Vermutungen zu einem Text und an die Lektüre anschließende Überprüfung), punktuelles/selektives Lesen (gezielte Suche nach Informationen im Text, Markieren von Schlüsselwörtern, Stellen von W-Fragen), sequenzielles/detailliertes/intensives Lesen (Erfassen des Textverlaufs/-inhalts: einen Text mithilfe von Teilüberschriften nacherzählen, den roten Faden finden), analytisches/untersuchend-kritisches/statarisches Lesen (tiefergehende Textanalyse z. B. sprachlich: Erzählung und Sachtext erkennen und unterscheiden, Gedichte betrachten) gefördert.

Lesebuch 4 Lesetraining

Eng verknüpft mit den Lesestrategien sind Methoden des Lesetrainings (s. Lesetechnik verbessern) und der Texterschließung. Hierzu gibt es z. B. die Lernen-lernen-Seite „Meinungen über einen Text austauschen“, aber auch Aufgaben zu handlungs- und produktionsorientierten Verfahren wie szenisches Spiel, Bilder und Collagen gestalten, kreatives Schreiben zu Texten oder Audioaufnahmen. Begleitend zur Lektüre der Texte können die Kinder Lesetagebucheinträge anfertigen, wodurch eine intensive Auseinandersetzung mit den Texten angeregt wird. Die zugehörige Lernen-lernen-Seite gibt Vorschläge, wie diese Einträge gestaltet werden können.


Literarisches Lernen anregen

Viele Schüler sind nur unzureichend auf den weiterführenden Literaturunterricht vorbereitet.

Im Frohes Lernen 4 Lesebuch werden erste Fachbegriffe erarbeitet. Das Leselexikon kann als internes Nachschlagewerk genutzt werden. Die Kinder lernen Texte verschiedener Gattungen kennen, die sowohl Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur (KJL) als auch zeitgenössische Werke berücksichtigen. Ihnen begegnen dabei unterschiedliche Themen, Motive, Figuren und Orte, die typisch für die KJL sind. Das Autorenlexikon gibt Einblick in das Leben und Werk von vier exemplarisch ausgewählten Autorinnen und Autoren und kann als Anregung zur Auseinandersetzung mit weiteren Autorinnen und Autoren dienen. An teilweise sensiblen Themen (z. B. Fremde, Umgang mit beeinträchtigten Familienmitgliedern, Tod) lernen die Kinder sich selbst emotional mit einem Text zu verbinden (subjektive Involviertheit), indem sie sich über eigene Gefühle, Erfahrungen, Gedanken und Einstellungen bewusst werden und austauschen.


Umgang mit Sachtexten fördern

Viele Schüler haben größere Probleme mit Sachtexten als mit erzählenden Texten.

In der IGLU-Studie schnitten die deutschen Schülerinnen beim Umgang mit Erzählungen weit besser ab als beim Umgang mit Sachtexten. Im Frohes Lernen 4 Lesebuch finden sich neben sachlichen Fließtexten vermehrt diskontinuierliche Texte wie Schaubilder, Tabellen und Diagramme. Im Sinne des informierenden Lesens werden Text und Bild in Bezug gebracht.

Lesebuch 4 Sachtexte Karte

Digitales Lesen unterstützen

Die didaktisch förderliche Nutzung digitaler Medien ist in Deutschland im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich.

Neben Texten, die Digitalisierung zum Thema haben (verstärkt in Kapitel 8: Bücherwurm und Computermaus), regen viele Aufgaben zur Nutzung digitaler Medien an, so etwa das Nachforschen mit Kindersuchmaschinen, das Anschauen von Literaturverfilmungen oder das Hören von Hörbüchern im Vergleich zur Textfassung. Auf einer Lernen-lernen-Doppelseite wird das Thema „Fake News“ behandelt. In diesem Sinne stellt das Frohes Lernen 4 Lesebuch ein zeitgemäßes, an aktuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler orientiertes Lehrwerk dar.

Differenzierung ermöglichen

Hinsichtlich der Chancengleichheit bei Bildungslaufbahnentscheidungen gibt es großen Optimierungsbedarf.

Die Aufgabenstellungen sind dreifach differenziert. Auf dem Digitalen Unterrichtsassistenten finden sich Zusatzmaterialien wie editierbare Kopiervorlagen (inklusive der Lesebeobachtungsbögen „Lesetest 1–3“), Hörtexte und Erklärfilme zum differenzierten Fördern und Fordern. Die Üben-Seiten bieten dreifach differenzierte Texte mit entsprechend angepassten Fragen. Somit ist das Arbeiten am gleichen Lerngegenstand auf verschiedenen Niveaustufen möglich. Bei sämtlichen Aufgaben sind die Schwierigkeitsstufen (leicht, mittel, schwer)  ausgewiesen. Im Sinne „guter Aufgaben“ sind die Aufgabenstellungen so gestaltet, dass die Kinder sich zunächst eigenständig, entdeckend mit der Problematik auseinandersetzen und die Aufgaben auf individuellen Lösungswegen bearbeiten. Dem Ich-Du-Wir-Prinzip folgend, gehen sie dann in Partnerarbeit über, woran sich häufig Gruppenaufgaben anschließen.


Lesemotivation steigern und erhalten

Lesebuch 4 Lektüreauswahl Medien

Lesemotivation grundzulegen, ist die vornehmliche Aufgabe der Grundschule. Nur wer viel liest, lernt gut zu lesen. Motivation dazu im Leseunterricht wie auch im Alltag ist die Grundvoraussetzung. Der Aspekt des genießenden Lesens darf neben der Kompetenzförderung daher nicht in den Hintergrund treten. Die Lektüreauswahl versucht den unterschiedlichen Präferenzen der Kinder gerecht zu werden. Neben Erzählungen werden auch Comics, Gedichte und Gebrauchstexte (Rezepte, Sachtexte, Schaubilder und Tabellen, Rätsel) angeboten. Die Kinder werden aufgefordert, unterschiedliche Textarten bzw. Repräsentationen in anderen Medien (auditive, visuelle und audiovisuelle Rezeptionsformen) zu vergleichen und eigene Vorlieben darzulegen.


Zu wenig Zeit zum Lesen(lernen)?

Die Ergebnisse der IGLU-Studie legen nahe, dass in deutschen Grundschulen zu wenig Zeit für den Leseunterricht eingeplant wird. Es lohnt sich, Vielleseverfahren wie die Leseolympiade, freie Lesezeiten, Lesenächte u. ä. anzubieten. Außerdem sollten Verfahren der Leseanimation praktiziert werden, z. B. das Vorlesen, das Anhören literarischer Hörspiele, Buchvorstellungen, Bibliotheksbesuche etc.

Für weitere Anregungen empfiehlt sich auch ein Blick in den #KlettLesepakt und in
die Montagspakete zur Leseoffensive.

Auf ein allen Schülerinnen und Schülern gelingendes Lesenlernen!
Bernadette Girshausen

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