Die neue Niko-Lauttabelle
Mit der Lauttabelle schreiben, erfordert ein hohes Maß an routiniertem Umgang in Bezug auf die Phonem-Graphem-Korrespondenz. Von Kindern erwarten wir zu Beginn ihres Schriftspracherwerbes eine immense Genauigkeit beim Abhören von Lauten und dem Verschriften dazugehöriger Grapheme. Diese Genauigkeit bieten wir ihnen umgekehrt jedoch nicht an, wenn wir im Übersetzungsinstrument (Lauttabelle) eines der am häufigsten zu verschriftlichenden Phoneme, den Schwa-Laut [ǝ] am Ende von Wörtern, unterschlagen.
Denn E/e ist nicht gleich E/e – hinter nur einem Schriftzeichen verstecken sich drei unterschiedliche Lautungen:
Bisher wurde der Schwa-laut [ǝ] am Wortende immer „in einen Topf“ bzw. in „eine Krone“ mit den beiden Lautungen des E/e (Esel, Ente) geworfen und die Schülerinnen und Schüler waren bei der Arbeit mit der Lauttabelle auf eine gute Begleitung und Erläuterung ihrer Lehrerinnen und Lehrer angewiesen. Diese mussten die Variante der unterschiedlichen Lautung des -e am Wortende ergänzend einführen, wiederholende Übungen erstellen und Materialien passend aufbereiten.
Ich habe zum Beispiel stets meine Lauttabelle durch das Lautbild der „Dos-e“ bei den Silbenkönigen ergänzt und auf Arbeitsblättern den Schwa-Laut besonders markiert. Hinzu kam, dass im Kollegium eine Einigung über das passende Lautbild gefunden werden musste und weitere Absprachen, was Markierungsumsetzungen betraf, zwecks Einheitlichkeit und zur Verhinderung zusätzlicher Unklarheiten bei den Kindern, getroffen werden mussten.
Die Differenzierung in alle drei lautlichen Vorkommensarten des Schriftzeichens e ist also eine wichtige Unterstützung der Schülerinnen und Schüler bei der lautlichen Übersetzung eines Wortes in Grapheme, zumal die Auslautung -e [ǝ] häufig in laugetreuen Wörtern auftritt.
„Lautgetreu“ war in diesem Zusammenhang bisher jedoch nicht korrekt, da für den Schwa-Laut am Ende vieler dieser Wörter keine passende Phonem-Graphem-Korrespondenz angeboten wurde.
Die Niko-Lauttabelle „erfindet hier also das Rad nicht neu“, erhebt aber einen Anspruch auf Vollständigkeit in Bezug auf die differenzierten Lautungen des E/e und gibt damit sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen Sicherheit bei der Laut-Buchstabenzuordnung im Rahmen der Lauttabellenarbeit.
Die „Blum-e“ in ihrer schwarz-weißen Darstellung nimmt sowohl auf der Lauttabelle als auch in allen Übungsformaten im Arbeitsheft und in den Kopiervorlagen eine Sonderstellung ein, die gewollt ist. So wird der Fokus der Schülerinnen und Schüler auf diese besondere Lautung des Schriftzeichens -e gelenkt, was die korrekte Schreibung am Wortende fördert und festigt.
Hintergrund: Die Lehre aus dem „Igel-Syndrom“
Es wichtig, zu definieren, um was es uns geht: Kinder sollen lernen, Wörter (von Anfang an) richtig zu schreiben. Unsere kompetenzorientierten Lehrpläne fordern diesbezüglich einen Rechtschreibunterricht, der sich nicht nur ausschließlich mit dem Einprägen richtiger Schreibweisen beschäftigt, was eine Beschränkung auf den tatsächlich geübten Wortschatz beinhaltet, sondern einen strategiegeleiteten Erwerb der Rechtschreibung, der Einsichten in die Regelhaftigkeiten der Orthographie fördert.
Ziel eines solchen Unterrichtskonzeptes ist die Entwicklung von Rechtschreibbewusstsein, also eines Gespürs für Stolpersteine und schwierige Stellen im Wort. Und Rechtschreibbewusstsein erlangt man nur über eine Analyse von Wörtern, die im weiteren Verlauf des Rechtschreibunterrichtes auch zur Sprachanalyse wird.
Die Zerlegung von Wörtern in ihre kleinsten lautlichen Bestandteile, die Phoneme, bildet also den Anfang. Kinder sollen auf dem Weg der Erlangung von Rechtschreibbewusstsein Wörter analysieren und sie mit Hilfe der Lauttabelle verschriften. Dabei geht es um einen analytischen und reflektierenden Blick auf Wörter von Anfang an: einen Blick, der ein Gespür für Besonderheiten der Orthographie im Deutschen schafft. So ist das richtige Schreiben bereits ab der ersten Stunde im Fokus, während die Schülerinnen und Schüler Wörter nach dem alphabetischen Prinzip in ihre lautlichen Bestandteile zerlegen und diesen die passenden Verschriftlichungen zuordnen. So weit, so bekannt und verbreitet: Die Lauttabelle dient hierbei als Decodier-Instrument.
Nun muss man wissen, dass eine Lauttabelle, die das Schreiben von Wörtern von Beginn an unterstützen soll, etwa 40 Phoneme, also Lauteinheiten, abbilden muss. Diese Lauteinheiten müssen in Grapheme übersetzt werden. Grapheme wiederum können an unterschiedlichen Positionen im Wort unterschiedliche Lautwerte vermitteln. Und gleiche Laute können wiederum durch unterschiedliche Grapheme dargestellt werden.
Nun kann dies in seiner Vollständigkeit nicht auf einer Lauttabelle abgebildet werden, da die Schreibungen im Deutschen nicht ausschließlich dem alphabetischen Prinzip unterliegen, sondern ebenso morphematischen und orthographischen Regeln und Prinzipien folgen. So gibt es für eine Lautung mehrere Möglichkeiten, diese zu verschriftlichen (der Laut /t/ ist zum Beispiel durch die Grapheme T, D, TT, DT und TH abbildbar). Diese alle in eine Lauttabelle zu bringen, wäre für den Lernanfänger nicht mehr zielführend.
Die rechtschriftlichen Regelungen des Deutschen machen es also nötig, sich auf eine, ich nenne es „In-den-meisten-Fällen“-Schreibung, zu einigen. Daraus entstanden ist die Lauttabelle, wie wir sie kennen (vgl. Thomé 2000).
Die neueren Generationen von Lauttabellen konnten eine wichtige Fehlerquelle, die bei der späteren Rechtschreibleistung von Schülerinnen und Schülern durch Fehlschreibungen wie „Wise“ oder „Tir“ aufgefallen waren, vermeiden. Das sogenannte „Igel-Syndrom“ (vgl. Thomé 2000) war durch die Auswahl des Igels als ausschließliches Anlautbild des Lautes [iː] (langes i), hervorgerufen worden. Das lange I bei Igel stellt jedoch nicht die „In-den-meisten-Fällen“-Schreibung dar, sondern eine Ausnahme. Die „grundlegende Schreibung“ (vgl. Thomé 2000) ist das -ie-, wie etwa in Riese. Diese Unzulänglichkeit wurde in der Lauttabelle durch die Ergänzung des -ie- vermieden.
Wir wollen und müssen genau sein bei der Darbietung eines Hilfsinstrumentes zum Schreiben im Anfangsunterricht, das hat uns der Fall des „Igel-Syndroms“ gelehrt.
Genauigkeit in der Analyse der einzelnen Laute bedeutet aber auch, Grapheme hinsichtlich ihrer Position im Wort und ihr damit verbundenes, differenziertes Phonem den Kindern in der Lauttabelle zur Verfügung zu stellen. Andernfalls wäre es so, als würden wir den Schülerinnen und Schülern die Aufgabe stellen, das kleinste Sandkorn mit Hilfe eines zu groben Siebes zu finden.
Quellen
Thomé, Günther: Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit mit Anlauttabellen. In: Valtin, R. (Hrsg.) (2000): Rechtschreiben lernen in den Klassen 1-6. Frankfurt: Grundschulverband e.V., S. 116-118.
7 Kommentare
Die Info im Blog scheint Sinn zu machen, aber das weiß man doch nicht erst seit gestern. Diese Änderung kommt aus meiner Sicht sehr deutlich zu spät. Vor allem, dass man „von Anfang an“ richtig schreiben lernen sollte. Eigentlich sollten doch nun in allen Grundschulen, die z.B. mit der Zebratabelle arbeiten, diese gegen die Neue austauschen. Wieso gibt es keine aktualisierte Zebratabelle oder gibt es diese? Diese hätte ich ganz gerne hier als Download. Ich habe noch eine Zebratabelle aus dem letzten Quartal 2019, da ist nichts von einem „ie“ (Riese) zu sehen. Sehr Schade.
Wird den Schulen, die die alten Tabellen einsetzen, dass aktiv kommuniziert oder bleibt es der Hoffnung überlassen das alle Grundschulen das schon mitbekommen?
… dass die Zebra-Schreibtabelle auch eine Rückseite hat, auf der das ie (Riese)
abgedruckt ist, ist Ihnen bekannt?
Ich arbeite seit neun Jahren mit Zebra und finde das Lehrwerk absolut durchdacht und sehr gut einsetzbar.
Korrektur: Auf Seite 2 ist bei der aktuellen Zebra-Schreibtabelle ein „Riese“ zu sehen. Ich hatte anscheinend nur eine mit einer bedruckten Seite.
Guten Morgen, zuordnen. Daher ist dieser auch nicht in die Zebra-Schreibtabelle aufgenommen worden.
danke für Ihren Kommentar und Ihre Anregungen zur Gestaltung der Zebra-Schreibtabelle. In Abstimmung mit unseren Autoren darf ich Ihnen dazu folgendes sagen: Unser Lehrwerk Niko verfolgt einen etwas anderen, aber sehr interessanten Ansatz als Zebra. Den Schwa-Laut in die Tabelle aufzunehmen ist eine große Neuerung. Es ist ein Versuch, das Phoneminventar des Deutschen noch vollständiger abzubilden. Die Lehrwerke unterscheiden sich allerdings konzeptionell und somit müssen Änderungen wohl überdacht sein. Viele Zebra-Freunde benutzen die Tabelle nach wie vor zum freien Schreiben. Der Schwa-Laut kann nicht allein nach Graphem-Phonem-Zuordnungen Anwendung finden, sondern nur dann, wenn der Silbenkontext in den Blick gerückt wird. Der Schwa-Laut ist eben kein Laut wie das lange oder kurze e und lässt sich nicht einfach dem Graphem
Das sog. „Riesen-ie“ findet sich sowohl in der neuen als auch auf der alten Zebra-Ausgabe auf der Rückseite der Schreibtabelle, wie Sie selber bemerkt haben.
Vielleicht darf ich Sie auf unseren Artikel zum Aufbau der Zebra-Schreibtabelle aufmerksam machen, dort finden Sie viele Beweggründe dargestellt.
Bei all diesen Diskussionen sollten wir nicht vergessen, dass die Schreib- oder Lauttabelle zum Schreibenlernen, zum Erlernen der Laut-Buchstabe-Beziehung gedacht ist, nicht für den Orthographieerwerb. Die Schreibtabelle, die der Ausgabe 2018 beiliegt (und welche gegenüber der alten Ausgabe nur geringfügig geändert wurde), entspricht dem Zebra-Konzept und eine Änderung ist in näherer Zeit nicht geplant.
Herzliche Grüße
Heike
Hallo,
ich bin etwas irritiert, dass das kleine f in der Lineatur nicht bis in den Keller geht. In den Niko Materialien, die ich für die Schule nutze (2. Auflage von 2014), geht das kleine f bis in den Keller (z.B. im Grundschriftlehrgang). Ist das geändert worden bzw. habe ich da eine alte Lehrwerksversion?
Ich würde mich über eine Antwort freuen. Viele Grüße!
Liebe Julia,
vielen Dank für deinen Kommentar. In den Grundschrift-Arbeitsheften (Schreiblehrgang Grundschrift, Arbeitsheft in Grundschrift, Arbeitsheft PLUS in Grundschrift u.a.) geht das kleine f immer bis in den Keller, hat also eine Unterlänge. Auch auf der Schreibtabelle in Grundschrift ist das so, ebenso im Lautblock in Grundschrift.
In den Druckschrift-Materialien geht das kleine f immer nur bis zur Grundlinie, hat also keine Unterlänge. Das ist so in der Ausgabe 2020 und war auch schon so in der Ausgabe 2014. Es gab also da keine Veränderung. In den Kopiervorlagen geht das kleine f nur bis zur Grundlinie, da die Kopiervorlagen durchgängig in Druckschrift gesetzt sind. Auf welche ISBN beziehen Sie sich hier genau? Die Schreibtabelle, welche hier bei dei dem Beitrag zum Download angeboten wird, ist ebenso in Druckschrift, deshalb das kleine f darin nur bis zur Mittellinie.
Liebe Grüße
Monique
Grundschul-Blog-Team
Das Igel-Syndrom ist seit langem bekannt. Die Ergänzung des -ie mit dem
Bild des Riesen ist da schon mal ein guter Schritt. Aber warum bleibt der Igel? Es wäre doch viel sinnvoller den Igel durch eine Insel zu ersetzen. Dann würde deutlich werden, dass es sich um den kurzen Laut handelt. Das lange i wie bei Igel ist eine Ausnahmenschreibung.