4. Februar 2018
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Szenisches Spiel mit Texten

Lesebuchtexte im Rollenspiel erfahren

Hat man einmal das Geniale am Szenischen Spiel entdeckt mit seinem zentralen Element des Rollenspiels oder Rollentauschs (ich bin jetzt das Rumpelstilzchen, eine Maus, Tante Frieda, mein Turnschuh, mein Füller usw.) kann man diese Technik eigentlich unbegrenzt in jedem Unterricht anwenden.
Ich möchte hier noch einmal im Fach Deutsch darstellen, wie die Kinder meiner Klassen mit Texten und Gedichten in dieser Methode gearbeitet haben – eigentlich gespielt haben, denn als Arbeit haben die Kinder den Unterricht nie empfunden.

Wie immer beginnen wir mit einer Anwärmung

Bewege dich im Raum, ganz nach deinem persönlichen Befinden und Tempo: eher langsam oder flott, mit viel Bewegungen oder eher ruhig – wohin geht dein Blick…zu den anderen, zur Umgebung oder zu deinen Gedanken…Stell dir nun etwas vor, das du sehr gut kannst. Suche dir einen Platz im Klassenzimmer, wo du ohne Wort zeigen kannst, was du toll machst. Du bleibst ganz bei dir und schaust nicht nach den anderen…

 Nach kurzem Spiel kommen die Kinder wieder in den Kreis zurück. Nun hat jeder, wer möchte, die Gelegenheit, den anderen zu zeigen, was er gut kann und wie er sich dabei fühlt – es darf geklatscht werden! Anschließend ist Zeit für ein Feedback, wie es jedem in seiner Darstellung erging. Fragen an die Spieler sind zugelassen (Wie lange spielst du schon… ist es schwierig…) Auch Anerkennung ist erlaubt, aber keine negative Kritik!

Assoziations-Cluster zum Sammeln der Vorerfahrungen der Kinder

Nach der Anwärmung folgt eine gemeinsame Sammel-Arbeit zum Thema „Wie ich mich sehe“, mit Hilfe eines „Clusters“ an der Tafel:

 

Die Kinder übertragen das Cluster auf ein Blatt und füllen es jeder für sich aus. Wer will, darf es nach Fertigstellung der Klasse vorstellen – ähnlich wie einen Steckbrief.


Textdarbietung:

Vorlesen oder Erzählen findet bei mir immer im Stuhlkreis statt – keine Schreibmaterialien auf dem Tisch lenken die Kinder ab.
Der Text : „Das dicke Kind“ von Marie Luise Kaschnitz erzählt in der Ich-Form eine Begegnung. Wir wissen nicht, wer „ich“ ist. Es kann ein Erwachsener oder ein anderes Kind sein, das dem dicken Kind begegnet.

Die Ich-Person fragt das dicke Kind, ob es gerade Schlittschuhlaufen gehen will.. Obwohl das dicke Kind die Frage bejaht, erzählt es sofort mit einem „schmerzlichen Gesicht“, dass die Schwester gut Schlittschuhlaufen kann. Bei weiteren Fragen der Ich-Person wird deutlich, dass das dicke Kind immer die Schwester im Blick hat, die besser aussieht, alles besser kann, mutiger ist, keine Angst hat und sehr fröhlich und kreativ ist. Das Kind sagt traurig von sich selbst: „Und ich mache nichts!“
Nach dem Vorlesen können sich die Kinder spontan und kurz zum Text äußern.

In die Rollen der Hauptpersonen schlüpfen

Bevor zu viel „darüber geredet“ wird, öffne ich den Stuhlkreis zum U und gebe damit die „Bühne“ frei. Drei Stühle stehen auf der Bühne mit den Schildern: „Ich-Person“ – „das dicke Kind“ und „Schwester“. Das Kind, das zuerst auf einem Stuhl Platz nimmt, wird von mir zur Rolle interviewt:
„Du bist das dicke Kind. Zeige mir wie dick du dich fühlst (Haltung); sage mir, wie es dir geht (Gefühl). Warum fühlst du dich so? (Ursache, Gründe)
Wenn der Protagonist (Spieler) genug geäußert hat, geht er an seinen Platz im Stuhlkreis zurück – dabei erinnere ich ihn, seine Rolle „abzustreifen“. Sollte er noch sitzen bleiben um weitere Gedanken zu finden, können auch andere Kinder nacheinander zum “Doppeln“ kommen und ihre Gedanken und Gefühle nennen. Dabei legen sie die Hand auf die Schulter des Protagonisten und sprechen ebenfalls in der Ich-Form: Ich bin das dicke Kind und finde, dass ich… So geht es fort durch alle Rollen. Dabei ist es möglich, dass die Kinder (immer in ihrer Rolle) in einen Dialog gehen können.

Wichtig ist: Jedes Gefühl, jede Äußerung wird akzeptiert und nicht diskutiert, höchstens bestaunt: Ach ja, so kann man auch denken… Es darf ja jeder seine persönliche Wahrnehmung der Rolle ausspielen, eine absolute Wahrheit zu den Figuren im Text gibt es nicht.

Wenn alle, die wollten, gespielt haben, geht es zurück in den Stuhlkreis zum Sharing (Mitteilen). Zur Erinnerung: Die Rollenspieler auf der Bühne werden nicht beurteilt. Sharing heißt: Ich teile mit, was das Spiel/derText bei mir ausgelöst hat:. (Ich habe einen Bruder, der alles besser macht…Ich bewundere immer meine Freundin, die… Ich bin auch manchmal traurig, wenn ich denke, ich kann einfach nicht…usw.).

Oft kommen die Kinder selbst zu einer Lösung, wenn ich frage, was man dagegen tun kann, dass man sich schlechter fühlt als ein anderer: Man sollte nicht immer nach den anderen schauen, sondern lieber auf sich selbst und was man gut kann!


Ideal fügt sich eine Körperübung an die Arbeit mit dem Text. Ich nenne sie die „Krönchen-Übung“!

Das Selbstwertgefühl stärken

Die Anweisung gebe ich in der „Du-Form“, damit sich jeder gemeint weiß!

„Stell dich aufrecht und entspannt an einen Platz im Raum. Lass die Schultern sinken, die Füße stehen fest auf dem Untergrund, die Knie sind leicht geknickt. Halte deinen Kopf gerade und das Kinn ein wenig nach unten gerichtet. Stell dir nun vor, du hast ein wertvolles Krönchen auf dem Kopf. Es ist dein persönliches Krönchen, das dich kostbar und einmalig macht!…Wenn du den Kopf senkst, fällt es runter. Wenn du das Kinn hoch in die Luft streckst ebenfalls. Das Krönchen kann nur auf deinem Kopf halten, wenn du gut aufgerichtet bist. Mit diesem für andere unsichtbaren Krönchen lassen sich alle Aufgaben sicher und selbstbewusst anpacken. Gehe nun stolz durch den Raum und spüre mit deinem Krönchen was du für ein einmaliger wertvoller Mensch bist!“


Szenisches Spiel mit Gedichten

Was man alles mit einem Gedicht machen kann

Es gibt viele Wege, sich mit den Kindern einer Grundschulklasse einem Gedicht zu nähern. Wenn ich später den Zugang mit dem szenischen Rollenspiel darstelle, heißt es nicht, dass nicht auch anderen Formen alternativ oder zusätzlich in meinen Unterricht einfließen.

GEDICHTE können wir hören – spüren – fühlen – sprechen – Assoziationen dazu finden und ein „Cluster „ malen

  • Impulse zu Gedichten: was hast du gesehen – gehört – gerochen – gefühlt – gedacht während des Vorlesens?
  • Gedichte im Ganzen lesen oder Gedichtzeilen auswählen und wie in einem Dialog in beliebiger Reihenfolge sich gegenseitig in der Klasse vorlesen. Wir können auch jemandem eine Zeile „schenken“ und begründen, warum man das für den anderen ausgewählt hat.
  • Als Partnerspiel: Ich schreibe eine wichtige Zeile oder ein wichtiges Wort aus dem Gedicht auf und komme mit meinem Partner darüber ins Gespräch.
  • Eine Zeile, ein Wort im Gedicht auswählen und selber ein eigenes Gedicht schreiben (z.B. Elfchen, Haiku oder frei).
  • In der Gedichte-Schatzsammlung der Klasse ein „Antwort-Gedicht“ aussuchen, das ein ähnliches Thema hat oder ein entgegen gesetztes Gefühl ausdrückt.
  • Das Gedicht für die persönliche oder für die Klassen-Sammlung schön aufschreiben und gestalten, dabei experimentieren und neue Präsentationen finden.
  • Die „Bilder“ im Gedicht in echte Bilder umsetzen, konkret oder abstrakt.
  • Als szenisches Spiel die einzelnen Strophen oder Zeilen vorbereiten (Kleingruppe); oder nonverbal beim Vorlesen das Gedicht mitspielen lassen (Jeux Dramatiques).
  • Stühle beschriften mit Identifikationskarten, Interview, Dialog zwischen den Rollen, Sharing.

Viele Möglichkeiten ein Gedicht zu verstehen

Anwärmung: Ich bereite die Kinder auf eine Gedicht-Wanderung vor, bei der wir unterschiedlichen Gedichten begegnen werden.
Unsere 1. Station bildet das Gedicht „Gedicht von den Gedichten“ ( Georg Bydinski; in „Gedichte für die Grundschule“, Klett-Verlag). Beim Vorlesen sollen sich die Kinder dazu bewegen, wie es in den 8 Zweizeilern beschrieben wird.

Als 2. Station hören die Kinder das Gedicht „Widmung“ von Ute Andresen („Im Mondlicht wächst das Gras“, Ravensburg). Das Gedicht will wie ein Mensch sein, der den Leser versteht. Der Autor scheint zu wissen, was der Leser sieht, hört, denkt, fühlt, was ihn froh oder traurig macht, was er hofft oder fürchtet. Die Autorin vermittelt, dass ein Gedicht in seinen Worten ausdrückt: „Ich verstehe dich!“
Die Kinder meiner Klasse waren nach dem Vorlesen beeindruckt und äußerten sich sehr positiv: „Es muntert auf…Es verspricht etwas, nämlich, dass man nicht alleine ist… Es ist wie ein Freund…

Nach diesen zwei unterschiedlichen Gedichten stellte ich einen Stuhl in die Kreismitte und forderte die Kinder auf, ein Gedicht zu sein und von sich zu erzählen. Hier einige Aussagen:

  • Ich Gedicht muss mich nicht reimen
  • Ich mag mich reimen
  • Mein Inhalt passt gut zusammen
  • Ich sage etwas Fröhliches
  • Ich sage etwas Trauriges
  • Ich bin nur ganz kurz
  • Ich bin ganz lang und habe viele Wörter
  • Man kann mich gut verstehen, wenn man mich list
  • Ich habe eine bestimmte Form als Haiku oder Elfchen
  • Ich spreche zu den Menschen…

Unsere 3. Station bestand aus dem Gedicht „Meine sieben Seelen“ von Roswitha Fröhlich.

Nach dem Vorlesen bilden die Kinder 8er- Gruppen (1 Spieler für jede Seele plus das Ich) oder 4-er Gruppen – falls das in der Klasse besser durchführbar ist – (1 Kind spielt je eine Doppelzeile). Jede Gruppe erhält den Text und die Aufgabe, das Gedicht als Gruppe darzustellen – das darf nonverbal sein, oder das Ich moderiert die sieben Seelen. Die Gruppe haben 5-10 Minuten Zeit zu proben wie sie die Aufgabe durchführen wollen. Nach jeder Darstellung melden die Zuschauer zurück was ihnen gut gefallen hat.

Zum „Finale“ stellt sich nun jede Gruppe in einem „Standbild“ wie zu einem Foto auf. Die Haltung der Spieler soll den Inhalt der sieben Seelen verraten. Zu dieser Präsentations-Aufgabe bekommt jede Gruppe wieder eine Vorbereitungszeit.
Nach gemeinsamem Foto und Applaus können wir weitere Angebote in einer Art Sharing machen:

  • Erzähle von deinen Seelen. Wie viele und welche hast du?
  • Gibt es eine Lieblingsseele bei dir? Beschreibe sie.
  • Schreibe ein Gedicht über dich in einer von dir gewählten Form!

Damit ist die Gedicht-Wanderung beendet.

 

Wie wähle ich ein Gedicht für die Klasse aus?

Indem wir die Gedichte für die Schüler auswählen, geben wir bereits eine bestimmte Richtung vor in der sich die Kinder erleben können. Ein trauriges Gedicht wird eher traurige Gefühle bei den Kindern auslösen, ein heiteres eher heitere.

In dem Wolfgang Borchert Gedicht „Abendlied“ gingen die Kinder meiner 3. Klasse zunächst eher analytisch vor: Ein Kind stellt Fragen an seine Mutter. Aber es sind Fragen, die sie selber nie fragen würden. Statt „Schlaf endlich!“ – was die Schüler für eine normale Reaktion hielten, bekommt das Kind die immer gleiche Antwort seiner Mutter: „Schlaf mein Kind und träume sacht!“ Die Schüler fanden für sich heraus, dass das Kind im Gedicht unsicher ist, aber nicht allein. „Es hat Angst, dass es immer dunkel bleibt und die Welt verloren geht“ – Das war das Resumée.

Abschließend erzählte ich den Kindern über das kurze Leben des Autors Wolfgang Borchert, der aus dem Krieg zurückkam und Angst hatte, dass die Welt nie wieder schön werden würde. Diese Aussage kann Impuls für eine neue Unterrichtsstunde werden, gerade in einer Zeit, in der wir viele Flüchtlinge aus Kriegsgebieten haben, die aus dem „Dunklen“ kommen und bei uns hier eine lichte Welt vorfinden.

Ich hoffe, ich konnte Sie motivieren, Gedichte im Szenischen Spiel zu erproben – auf jeden Fall wünsche ich Ihnen viel Entdeckungsfreude und Bereicherung für Ihren Unterricht.

Im nächsten Artikel möchte ich gern berichten wie wir mit Grammatik und anderen Elementen des Deutschunterrichts szenisch arbeiten können.

Bettina Rinderle

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