26. April 2020
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Nach den Niederlanden unternehme ich in meiner neuen Beitragsserie eine Reise nach Estland und gehe der Digitalisierung des Unterrichts dort auf die Spur. Denn längst ist es kein Geheimnis mehr, dass Estland bei der Digitalisierung in Europa absoluter Vorreiter ist. Auch im Unterricht gehören digitale Medien beim PISA-Spitzenreiter selbstverständlich dazu.


Erstklassige Schulen

Obgleich Estland eines der ärmsten Länder Europas ist, hat es laut PISA-Studie in Sachen Unterricht die Nase vorn. Und das, obwohl die Bildungsausgaben deutlich unter dem OECD-Schnitt liegen. Doch wie machen die Esten das?

Zuallererst unterscheidet sich das Schulsystem in Estland deutlich von unserem: Von Klasse 1 bis 9 werden alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet. Erst danach fällt die Entscheidung, ob eine weiterführende Schule besucht werden soll. Dort bekommen die Schülerinnen und Schüler dann in der Regel, unabhängig vom Notendurchschnitt, auch einen Platz.

Wenn Kinder die Lernziele nicht erreichen, sind die Schulen gefragt, Förderprogramme, Sozialarbeit und ggf. auch psychologische Betreuung anzubieten, um schwächere Schülerinnen und Schüler gezielt zu unterstützen.

Daran zeigt sich bereits, dass das Bildungssystem Estlands in höherem Maße auf Chancengleichheit abzielt: Unabhängig von der Herkunft und dem Einkommen sollen alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Bildungschancen haben. In Bezug auf die Lernziele macht das Curriculum klare Vorgaben und benennt Guidelines, aber was die Umsetzung betrifft, haben Lehrkräfte insgesamt viele Freiheiten.


Von Anfang an entschlossen digital

Neben dem Schulsystem liegen weitere Gründe für das gute Abschneiden estnischer Schulen sicher auch darin, dass die Esten bereits früh die Chancen der Digitalisierung erkannt haben. Bereits im Jahr 1999 waren alle Schulen Estlands mit Computern ausgestattet, ein Jahr später hatten alle einen Internetanschluss. Um diese neuen Möglichkeiten auch nutzen zu können, wurden Lehrkräfte frühzeitig gezielt fortgebildet. So nahmen bereits 1997 rund 4.000 Lehrkräfte an einem 40-stündigen Basistraining für Computer statt, 1.000 weitere folgten im nächsten Jahr.

Und auch heute beraten sogenannte Bildungstechnologen Lehrkräfte im Alltag gezielt zum Einsatz digitaler Technologien im Unterricht.

Diese werden nicht nur in den Schulstunden, sondern auch für administrative Dinge selbstverständlich mit einbezogen. Ein Beispiel: Bereits seit 2002 nutzen die meisten Schulen das digitale Klassenbuch „ekool“. Lehrkräfte tragen hier den behandelten Stoff und die Hausaufgaben ein, Eltern haben Zugriff darauf, erfahren, was im Unterricht passiert, können Lehrkräften Nachrichten schicken oder auch Entschuldigungen hochladen.

Um die Nutzung digitaler Möglichkeiten im Lernprozess weiter zu befördern, wurde im Jahr 2014 das „Digital Focus Programm“ gestartet.

Das alles führt dazu, dass Estland absoluter Spitzenreiter beim Einsatz digitaler Technologien um Unterricht ist. Nicht nur in den verschiedenen Fächern werden sie angewendet, sondern fast 90 % der Schulen unterrichten IT und sogar fast 60 % der Kindergärten beschäftigen sich bereits mit dem Thema. Sogar Robotik kommt dort bereits spielerisch zum Einsatz. Und ab dem 1. Schuljahr steht vielerorts Programmieren auf dem Stundenplan. Betrachtet man zudem die Tatsache, dass in der Hauptstadt Tallinn inzwischen alle Schulen über einen 3-D-Drucker verfügen, verwundert es nicht, dass auch Smartphones selbstverständlich im Unterricht eingesetzt werden …

So viel zum Einstieg. Jetzt bin ich gespannt, was an verschiedenen Schulen des Landes konkret passiert. Doch bevor wir erfahren, wie die Lehrerin Anneli Dietrich mit digitalen Schulbüchern unterrichtet, schauen wir uns im nächsten Beitrag zunächst noch an, wie die Esten den Unterricht seit dem 13. März komplett auf E-Learning umgestellt haben.

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