2. September 2020
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Wenn der Unterricht nicht für alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort stattfinden kann und auf Distanz gelernt wird, werden veränderte Lehr-Lernformen gebraucht. Gerade digitale und einfache Lösungen sind jetzt gefragt. In diesem Beitrag zeigen wir an einem Beispielvideo zur schriftlichen Subtraktion, welche Potentiale mathematische Erklärvideos haben, wie ihr sie erstellen und gewinnbringend im Mathematikunterricht mit oder ohne Präsenz einsetzen könnt.


Potentiale von mathematischen Erklärvideos

Erklärvideos sind Videos, „in denen erläutert wird, wie man etwas macht oder wie etwas funktioniert bzw. in denen abstrakte Konzepte und Zusammenhänge erklärt werden“ (Wolf 2015, S. 1). Sie stellen einen mathematischen Inhalt (z. B. Regeln, Vorgehensweisen oder Lösungswege) beispielhaft dar, damit Schülerinnen und Schüler das Vorgehen auf ähnliche Sachverhalte übertragen können (Römer & Nührenbörger 2018, S. 1511).

Doch welche Potentiale hat der Einsatz von Erklärvideos im Präsenzunterricht oder im Lernen auf Distanz? Zunächst ermöglichen Videos tiefergehendes Verstehen durch Einbezug des auditiven und visuellen Sinneskanals (Fößl 2014, S. 35).

Gerade dynamische Prozesse (z. B. das Hinzukommen oder Wegnehmen von Gegenständen) können gut dargestellt werden und den Aufbau von Grundvorstellungen (z. B. zu den Rechenoperationen Addition und Subtraktion) unterstützen. Außerdem können die Lernenden ihr Lerntempo individuell selbst steuern, indem sie Sequenzen interaktiv stoppen und bei Bedarf wiederholt ansehen (Römer & Nührenbörger 2018, S. 1513 f.). Erklärvideos eignen sich also gerade im Lernen auf Distanz für Phasen, in denen Erklärungen notwendig sind und die Schülerinnen und Schüler selbstständig arbeiten müssen. Sie können den gemeinsamen Austausch und individuelle Unterstützung nicht ersetzen, bieten aber eine Hilfe in Zeiten, in denen beides erschwert ist.


Unser Erklärvideo zur schriftlichen Subtraktion

In unserem Beispielvideo zeigen wir das Verfahren Abziehen mit Entbündeln an einer schriftlichen Subtraktionsaufgabe mithilfe von Zehnersystemblöcken. Die Idee des Algorithmus kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Wenn die Anzahl der Bündelungseinheiten an einem Stellenwert zu gering ist, um die Differenz zu bilden (4E – 8E), wird die nächsthöhere Einheit im Minuenden entbündelt. Aufgrund des dezimalen Zahlsystems wird dabei eine Bündelungseinheit durch zehn Einheiten der nächstkleineren Bündelungseinheiten ersetzt (1Z = 10E), wodurch der Wert des Minuenden sich nicht verändert und die Differenz am entsprechenden Stellenwert gebildet werden kann (Lorenz 1995, S. 23). Unserer Lerngruppe waren Bündelungs- und Entbündelungsaktivitäten bereits bekannt.

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Erklärvideo zur schriftlichen Subtraktion (Neuhaus & Schiffer)

Damit Schülerinnen und Schüler einen mathematischen Inhalt verstehend durchdringen, ist der Wechsel zwischen den verschiedenen Darstellungsebenen nach Bruner (1974) zentral (Wartha & Schulz 2011, S. 5 f.). Ein großes Potential bei der Förderung dieser Fähigkeit haben digitale Medien dadurch, dass sie die Verknüpfung verschiedener Darstellungsebenen in besonderem Maße ermöglichen: So werden in unserem Video durchgeführte Materialhandlungen (enaktiv) bildlich dargestellt (ikonisch), Erklärungen eingesprochen (verbal-symbolisch) und die Rechnung entsprechend der Norm des Algorithmus notiert (mathematisch-symbolisch).

Als Darstellungsmittel haben wir uns für Zehnersystemblöcke entschieden. Der Vorteil des Materials liegt darin, dass zehn Einer bzw. zehn Zehner in einer Zehnerstange bzw. einer Hunderterplatte sichtbar sind, da die Gleichwertigkeit durch die Ausmaße des Materials dargestellt wird. Wir haben die Zehnersystemblöcke fotografiert und nicht digital dargestellt, da die Kinder schon im Unterricht handelnd Erfahrungen mit dem Material gesammelt haben und eine ikonische Darstellung immer einen weiteren Abstraktionsgrad bedeutet. Diese Primärerfahrungen am realen Material sind besonders wichtig (Ladel 2017, S. 306). Außerdem ist das Fotografieren von Material meist schneller und einfacher, als digitale Abbildungen zu erstellen.


Unsere verwendete App: Educreations

Zur Erstellung eines Erklärvideos braucht es aus technischer Sicht nicht viel. Wenn ihr es ganz einfach halten möchtet, könnt ihr zum Beispiel mit einem Smartphone ein Video aufnehmen, in dem ihr eine Handlung am Material durchführt, eine Rechnung auf Papier schreibt und dabei erklärt. Verschiedene Videoschnitt-Apps ermöglichen auch eine Nachbearbeitung. Technisch anspruchsvoller wird es, wenn ihr Rechnung und Material digital darstellt und euren Bildschirm beim Erklären per Screencast aufnehmt. Dafür eignet sich zum Beispiel das Computerprogramm PowerPoint.

Unser Video haben wir mit einem Tablet, einem digitalen Eingabestift und der App Educreations erstellt. Für den schulischen Einsatz können wir diese App empfehlen, da sie die Einbindung von allen Darstellungsebenen ermöglicht, übersichtlich gestaltet und intuitiv bedienbar ist. Sie kann kostenlos über den Apple App Store heruntergeladen werden und ermöglicht eine Videoproduktion per Screencast.

Diese Funktionen bietet sie:

Wird ein neues Videoprojekt geöffnet, zeigt der Bildschirm einen leeren weißen Hintergrund (siehe Abbildung 1). Auf diesem kann mithilfe der Stiftfunktion (1) in unterschiedlichen Farben mit dem Finger oder einem kabellosen Eingabestift geschrieben und gezeichnet bzw. die Schrift mithilfe der Radierfunktion (2) wieder gelöscht werden. Per Tippen auf das Plussymbol (3) lassen sich außerdem Texte tippen, Bilder einfügen oder Fotos aufnehmen (4) (siehe Abbildung 2). Die Vor- und Zurückpfeile (5) machen die letzte Aktion rückgängig bzw. stellen diese wieder her. Die Videoproduktion erfolgt nun folgendermaßen: Per Tippen auf das Mikrofon-Symbol (6) wird eine Screencast-Aufnahme gestartet. Alles, was nun auf dem Bildschirm geschrieben, gezeichnet oder radiert wird, wird hinterher im Video zu sehen sein.

Parallel werden auch der Ton aufgenommen und per Minutenanzeige die bisherige Länge des Videos gezeigt. Die Aufnahme lässt sich jederzeit über erneutes Tippen auf das Mikrofon-Symbol stoppen und zu gewünschtem Zeitpunkt fortsetzen. Sobald eine erste Screencast-Aufnahme erfolgt ist, lässt sich das Aufgenommene per Tippen auf das Play-Symbol (7) abspielen, wobei der Bildschirm das bisher aufgenommene Video zeigt (siehe Abbildung 3). In der Ansicht sind die Audio-Spur und der Einsatz der Stift-Funktion auf einer Zeitachse dargestellt (8), über die per Wischen nach links oder rechts zur gewünschten Stelle gespult werden kann. Per Tippen auf Edit (9) lässt sich die bisherige Aufnahme bis zu einem gewünschten Punkt, der mit einem orangefarbenen Balken markiert wird (10), schneiden (siehe Abbildung 4). Dies wird per Tippen auf Trim (11) bestätigt.

Grundschul-Blog Erklärvideo Abbildung 1

Abbildung 1: Neues Videoprojekt 1 (Educreations 2020)

Grundschul-Blog Erklärvideo Abbildung 2

Abbildung 2: Neues Videoprojekt 2 (Educreations 2020)

Grundschul-Blog Erklärvideo Abbildung 3

Abbildung 3: Aufgenommenes Video ansehen (Educreations 2020)

Grundschul-Blog Erklärvideo Abbildung 4

Abbildung 4: Aufgenommenes Video bearbeiten (Educreations 2020)


So haben wir unser Erklärvideo produziert

Um die Materialhandlungen festzuhalten, haben wir die Stop-Motion-Technik genutzt und einzelne Fotos von den Zehnersystemblöcken zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der App aufgenommen. Von Bild zu Bild erfolgt dabei eine Veränderung (z. B. Wegnehmen von Einern). So wird der Fokus auf die entscheidenden Stellen im Verstehensprozess gelenkt. Damit der Bildausschnitt sich nicht verändert, ist es wichtig, dass das Tablet nicht verschoben wird. Daher haben wir die auf dem Boden liegenden Materialien und die ausgedruckte Rechnung von einer gleichbleibenden Stelle der Tischkante aus fotografiert (siehe Abbildung 5). Wichtig ist es, sich vor der Aufnahme Gedanken darüber zu machen, welcher Handlungsschritt durch welches Foto visualisiert werden soll und welcher Text eingesprochen wird. Dabei sollte auch bedacht werden, welche Fachausdrücke vorausgesetzt werden können oder erklärt werden müssen.

Aufbau Erklärvideos selbst drehen

Abbildung 5: Aufbau Videodreh (Neuhaus & Schiffer)

An einem beispielhaften Ausschnitt, der Entbündelung des Zehners, möchten wir kurz erklären, wie wir Schritt für Schritt vorgegangen sind:

Nachdem wir die Notwendigkeit des Entbündelns erklärt haben, haben wir den zu entbündelnden Zehner mithilfe der digitalen Stiftfunktion auf dem Foto in der App während der Aufnahme eingekreist (siehe Abbildung 6). Dann wurde die Aufnahme nach dem Satzanfang „Ein Zehner …“ pausiert. An die Stelle der Zehnerstange haben wir zehn Einerwürfel gelegt und ein neues Foto in der App aufgenommen. Durch den gleichbleibenden Bildausschnitt liegen diese nun in der roten Markierung (siehe Abbildung 7). Danach wurde die Aufnahme fortgesetzt und der Satz durch „… sind zehn Einer“ beendet.

Im nächsten Schritt haben wir die Markierung durch die Radierfunktion wieder entfernt. Dann wurde die Notationsweise der Entbündelung mit Bezug zum Material erklärt und währenddessen mit der digitalen Stiftfunktion in der Rechnung aufgeschrieben (siehe Abbildung 8).

Grundschul-Blog Erklärvideo 1

Abbildung 6: Videoausschnitt vom Entbündeln 1 (Neuhaus & Schiffer)

Grundschul-Blog Erklärvideo 2

Abbildung 7: Videoausschnitt vom Entbündeln 2 (Neuhaus & Schiffer)

Grundschul-Blog Erklärvideo 3

Abbildung 8: Videoausschnitt vom Entbündeln 3 (Neuhaus & Schiffer)


Wie lassen sich Erklärvideos in einen aktiv-entdeckenden Unterricht einbinden?

In einem aktiv-entdeckenden und prozessbezogenen Mathematikunterricht sowie dem Lernen auf Distanz muss das Rezipieren von fertigen und eher kleinschrittigen Erklärungen natürlich sinnvoll in den Lernprozess eingebunden werden. So könnte das Erklärvideo aus diesem Beitrag zum Beispiel gezeigt werden, nachdem die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe selbst mit Material gelöst haben.

Eine sehr gute Möglichkeit zur Anregung der aktiveren Auseinandersetzung mit mathematischen Inhalten ist es, die Schülerinnen und Schüler selbst Erklärvideos produzieren zu lassen. Dabei werden fachliche und überfachliche Kompetenzen sowie der Einsatz von Fachsprache gefördert.

Außerdem werden Reflexions- und Kommunikationsprozesse zum Beispiel über unterschiedliche Rechenwege angestoßen (Neuhaus & Schiffer 2019, S. 18 ff.). Der Lehrkraft dienen die Produkte als geeignetes Diagnoseinstrument, um Einsicht in den Lernstand und die Grundvorstellungen der Kinder zu erhalten (ebd.).

Des Weiteren lässt sich der Einsatz von Videos im Mathematikunterricht und im Lernen auf Distanz aktiv-entdeckender gestalten, indem Videos nicht nur erklärende, sondern auch zu entdeckende Anteile enthalten. Diese regen die Kinder zum Erkunden von mathematischen Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhängen an und erlauben unterschiedliche Deutungen. Römer & Nührenbörger (2018) sprechen hierbei von „Entdeckerfilmen“ (S. 1511 ff.) – siehe auch dieser Blogbeitrag: Rechnen bis 20, Entdeckerfilm „Auf dem Parkplatz“.


Fazit

Erklärvideos lassen sich im Unterricht sowie zuhause vielseitig und sinnvoll einsetzen. Dabei sind sie mit ein bisschen Übung leicht zu erstellen. Sie unterstützen den Lernprozess und ermöglichen ein selbstgesteuertes Lernen. Wenn ihr selbst ein Erklärvideo produzieren wollt, haben wir folgende Tipps für euch

  • Fordert mit eurem Video einen Darstellungswechsel heraus.
  • Nutzt fachdidaktisch sinnvolles Darstellungsmaterial, welches den Kindern aus Primärerfahrungen bekannt ist.
  • Überlegt euch, welche Handlungsschritte zu sehen sein sollen und wie ihr diese erklärt.
  • Setzt Fachsprache gezielt ein.
  • Bindet die Videos sinnvoll in einen aktiv-entdeckenden Unterricht ein.

Viel Spaß bei eurer ersten Videoproduktion!


Literatur

Ladel, S. (2017). Ein TApplet für die Mathematik. Zur Bedeutung von Handlungen mit physischen und virtuellen Materialien. In J. Bastian & S. Aufenanger (Hrsg.), Tablets in Schule und Unterricht. Forschungsmethoden und -perspektiven zum Einsatz digitaler Medien (301–326). Wiesbaden: Springer.

Lorenz, Jens Holger (1995). Probleme der schriftlichen Subtraktion. Grundschule, 27(5), 22-23.

Neuhaus & Schiffer (2019). Entwicklung des mathematischen Verständnisses des schriftlichen Subtraktionsalgorithmus am Beispiel einer digitalen Lernumgebung mit Videos. Unveröffentlichte Masterarbeit TU Dortmund.

Römer, Sina & Nührenbörger, Marcus (2018). Entdeckerfilme im Mathematikunterricht der Grundschule – Entwicklung und Erforschung von videobasierten Lernumgebungen. In Fachgruppe Didaktik der Mathematik der Universität Paderborn (Hrsg.), Beiträge zum Mathematikunterricht (1511-1514). Münster: WTM.

Wartha, Sebastian & Schulz, Axel (2011). Aufbau von Grundvorstellungen (nicht nur) bei besonderen Schwierigkeiten im Rechnen. Publikation des Programms SINUS an Grundschulen. Kiel: Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN).

Wolf, Karsten D. (2015). Bildungspotenziale von Erklärvideos und Tutorials auf YouTube. [Abruf am 26.06.2020].


Name: Anna Neuhaus

E-Mailadresse: anna.neuhaus(at)tu-dortmund.de

Berufliche Tätigkeit: Aktuell bin ich Referendarin im Dortmunder Nordwesten und werde in den Fächern Mathematik, Deutsch und Sachunterricht ausgebildet. Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen stellt eine große Bereicherung für mich dar. Aber besonders die Freude und individuellen Fortschritte der Kinder zaubern mir täglich ein Lächeln ins Gesicht.

Was mir privat Spaß macht: Auch in der Freizeit lässt mich mein Beruf nicht gänzlich los. Einmal wöchentlich gebe ich 5- bis 7-jährigen Kindern ehrenamtlich Schwimmunterricht. Im Anschluss daran ziehe ich selbst meine Bahnen. Außerdem esse ich leidenschaftlich gerne. Am liebsten Selbstgemachtes im Kreise von Freunden und Familie.

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