Entdeckerfilme im Mathematikunterricht
Was ist ein Entdeckerfilm? Entdeckerfilme sind einfach produzierte Animationsfilme, die (mathematische) Probleme hervorbringen, mit dem Ziel das Interesse der Kinder zu wecken und zum Beschreiben und Begründen anzuregen.
Der Einsatz digitaler Medien im Unterricht unterstützt das Lernen (vgl. Linneweber-Lammerskitten 2011), weshalb sich seit geraumer Zeit sogenannte Lern- oder Erklärvideos größerer Beliebtheit erfreuen. Erklärvideos sind vor allem im Mathematikunterricht keine Seltenheit mehr, denn die neuen Medien motivieren und steigern die Aufmerksamkeit der Lernenden (vgl. Astleitner & Wiesner 2004). Auf unterschiedlichen digitalen Plattformen schauen sie sich einen kurzen Videoclip an, in dem Schritt für Schritt erklärt wird, wie eine Aufgabe gelöst werden kann. In einem modernen Mathematikunterricht sollen die Schülerinnen und Schüler jedoch zum aktiven Entdecken angehalten werden, um sich Sachverhalte und mathematische Gesetzmäßigkeiten selbstständig zu erschließen.
Bisherige Lernvideos und Erklärfilme orientieren sich aber an einer kleinschrittigen Lösung und Erklärung eines Problems. Im Sinne des aktiv-entdeckenden Lernens – ein konzeptionelles Grundprinzip des Zahlenbuch – werden demzufolge Filme benötigt, die Entdeckungen zulassen und unterschiedliche mathematische Deutungen erlauben. Deshalb haben wir im Rahmen unserer Masterarbeiten einen Entdeckerfilm basierend auf einer Stop-Motion-Animation entwickelt, der zum Entdecken, Beschreiben und Begründen anregt.
Didaktischer Nutzen von animierten Entdeckerfilmen
Welchen Nutzen haben solche Filme für die Schülerinnen und Schüler? Entdeckerfilme visualisieren die dynamischen Prozesse der Operationen, wodurch die verschiedenen Grundvorstellungen der Grundrechenarten repräsentiert werden, die für den Aufbau eines flexiblen Operationsverständnisses zentral sind (hier: Grundvorstellungen zur Addition und Subtraktion). Das Verständnis wird dann unterstellt, „wenn eine Lösung auch über die Aktivierung von Grundvorstellungen in einer anderen Darstellung möglich ist“ (Wartha & Schulz 2013, S. 39).
Durch das Einfordern eines Darstellungswechsels werden verschiedene Grundvorstellungen aktiviert, weshalb der Entdeckerfilm in eine Lernumgebung eingebettet werden soll. Die Schülerinnern und Schüler werden angehalten ihre Entdeckungen zu verbalisieren und auch handelnd darzulegen, weshalb ihnen didaktisches Material ergänzend zur Verfügung gestellt wird (Zwanzigerfeld, Plättchen in den Farben gelb, grün, rot und blau).
Der Entdeckerfilm „Auf dem Parkplatz“
Der Entdeckerfilm „Auf dem Parkplatz“ thematisiert eine alltagsnahe Situation, die Kindern z.B. vom Einkaufen bekannt ist. Immer wieder fahren Autos auf einen Parkplatz herauf und herunter. Das Besondere an dem Parkplatz im Film ist, dass er wie ein Zwanzigerfeld aufgebaut (aufgezeichnet) ist. Der Aufbau muss zuvor im Unterricht erarbeitet werden. Auf weitere Elemente eines Parkplatzes, wie zum Beispiel Büsche, Einkaufswagen oder Laternen wurde verzichtet, um nicht vom Wesentlichen abzulenken.
Der Film besteht aus fünf Szenen, die noch in weitere Szenen unterteilt werden, damit sich die Kinder auf nur eine Bewegung beziehen können. Somit werden die Inhalte in lerngerechte Abschnitte unterteilt und geben den Kindern genügend Raum zum Nachdenken und Sprechen. Um das Ende einer Szene zu markieren, wird ein STOP-Zeichen eingeblendet, welches verdeutlicht, wann der Film pausiert werden muss. Dadurch erhalten die Kinder die Möglichkeit, nachzudenken und nicht bloß hinterherzudenken. Das STOP-Zeichen erweist sich als sinnvolle Variante, da die Einblendung zum Inhalt des Straßenverkehrs gehört und das pausierte Bild auf dem Bildschirm eingeblendet bleibt und somit zur Argumentation genutzt werden kann.
Im Folgenden werden die Szenen näher erläutert. Eine kompakte Zusammenfassung – das Drehbuch – kann als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Szene 1: Leerer Parkplatz
In der ersten Szene sieht man den leeren Parkplatz. Die Kinder beschreiben, was sie sehen und knüpfen dabei schon an ihr Vorwissen bezüglich der Struktur eines Zwanzigerfeldes an. Je nach Gruppengröße können hier kleine Pappen mit dem gleichen Parkplatz und farbige Plättchen als Material zur Verfügung gestellt werden.
Szene 1: Leerer Parkplatz; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Szene 2: Erkundungen
Auf dem Parkplatz gibt es insgesamt 20 Plätze. Zwölf bunte Autos fahren von rechts unten unstrukturiert auf den Parkplatz. Die Kinder sollen hier merken, dass das Zählen der einzelnen Autos länger dauert, als wenn die Autos nebeneinander geparkt hätten und somit eine Struktur gebildet hätten. Deshalb wird zunächst nach einer sinnvolleren Anordnung zum Zählen gefragt. Damit wird zugleich das Vorwissen zur Kraft der Fünf und der Zehnerstruktur diagnostiziert.
Szene 2a: Autos unsortiert; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Die Autos parken so um, dass nun die obere Reihe des Parkplatzes vollständig belegt ist und in der unteren Reihe ganz links noch zwei Autos parken. Diese Szene ist entweder eine Bestätigung für die Kinder oder ein stiller Impuls, wie man die Anzahl schneller erkennen kann. Diese Darstellung ist nur eine von mehreren Möglichkeiten. Die Kinder könnten vorher auch beschreiben, dass die komplette linke Seite des Parkplatzes voll sein müsste, damit man die Anzahl schnell erkennen kann.
Szene 2b: Autos strukturiert; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Auf den Parkplatz kommen nacheinander zweimal zwei Autos hinzu. Nun stehen auf dem Parkplatz 16 Autos. Durch das wiederholende Einfahren von zwei Autos können die Kinder in Schritten zählen. Durch das Erkennen der 5er- und 10er-Struktur ist es immer wieder einfacher die gesamte Anzahl zu bestimmen.
Szene 2c: 5er-/10er-Struktur; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Nacheinander kommen noch einmal zweimal zwei Autos hinzu, sodass der Parkplatz mit 20 Autos voll ist. Die gesamte Anzahl kann nun durch Addition, durch Zählen in Schritten oder durch die Zehnerstruktur erfasst werden. Im Gespräch wird das Verständnis der Grundvorstellung zur Addition überprüft, indem eine Rechenaufgabe gebildet werden soll.
Szene 2d: Strukturierte Addition; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Szene 3: Addition
Auf den Parkplatz fahren drei rote und drei blaue Autos und parken gegenüber ein. Ein blaues Auto fährt weg und ein rotes Auto kommt gleichzeitig auf den Parkplatz hinzu. Durch das gleichzeitige Wegfahren und Hinzukommen der Autos soll der enge Zusammenhang zwischen der Addition und Subtraktion deutlich werden. Die Mengeninvarianz spiegelt das Konstanzgesetz der Summe wider.
Szene 3a: Konstanzgesetz der Summe; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Nun fährt ein blaues Auto weg und ein rotes Auto kommt gleichzeitig auf den Parkplatz hinzu. Auf dem Parkplatz stehen fünf rote Autos und ein blaues Auto.
Szene 3b: Konstanzgesetz der Summe fortführen; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Wieder fährt ein blaues Auto weg. Auf dem Parkplatz stehen fünf rote Autos und kein blaues Auto. Das rote Auto kommt hier absichtlich nicht mehr dazu, damit ein Übergang zur nächsten Szene entsteht. Dennoch sollen die Schülerinnen und Schüler sagen, wie es normalerweise hätte weitergehen müssen.
Szene 3c: Konstanzgesetz der Summe fortführen; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Es kommen fünf blaue Autos hinzu, sodass eine Verdoppelungsaufgabe entsteht. In diesem Kontext kann nach weiteren bekannten Verdoppelungsaufgaben gefragt werden.
Szene 3d: Verdoppelungsaufgabe; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Szene 4: Subtraktion
Nacheinander fahren zwei rote und zwei blaue Autos (gegenüberliegend) weg. Durch das Wegfahren soll das Verständnis der Grundvorstellung zur Subtraktion überprüft werden.
Szene 4a: Subtraktion; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Ein rotes und ein blaues Auto fahren auf den Parkplatz. Durch das Hinzukommen soll das Verständnis der Grundvorstellung zur Addition überprüft werden.
Szene 4b: Addition; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Zwei rote und zwei blaue Autos fahren weg. Nach dieser Szene soll das Muster der ganzen vierten Szene von den Kindern mit Material fortgeführt werden. Unterstützend dazu werden die mitgeteilten Rechnungen aufgeschrieben.
Szene 4c: Subtraktion II; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Szene 5: Vertiefung
Alle Autos sind vom Parkplatz gefahren. Nacheinander fahren drei rote, drei blaue, drei gelbe und drei grüne Autos auf den Parkplatz und parken farblich sortiert immer in 3er-Päckchen. Drei rote parken gegenüber von drei blauen Autos, und drei gelbe gegenüber von drei grünen Autos. Die Anzahl der Autos kann durch Zählen (in Schritten), Addition oder Multiplikation erfasst werden. Durch die Aufgabenbildung kann überprüft werden, ob schon ein multiplikatives Verständnis vorhanden ist oder auf die wiederholte Addition eingegangen wird.
Szene 5a: Wiederholte Addition; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Ein grünes Auto parkt jeweils zu den farblich anderen Autos um. Neben den drei roten, den drei blauen und den drei gelben Autos steht jeweils ein grünes Auto. Durch die Aufgabenbildung wird noch einmal überprüft, ob bereits ein multiplikatives Verständnis vorhanden ist.
Szene 5b: Verteilung weiterer Autos; Foto: Verena Ahlers, Sandra Nienaß
Einsatzmöglichkeiten für Entdeckerfilme im Unterricht
Entdeckerfilme können vielschichtiges mathematisches Gesprächspotenzial bieten und vielfältig eingesetzt werden:
- in Einzelinterviews,
- in Kleingruppen,
- im Klassenverband: Film in Etappen gemeinsam schauen; Aufgaben als Gruppe lösen,
- oder zur individuellen Nacharbeitung auch ohne Anwesenheit der Lehrperson.
Der Interviewleitfaden ist vor allem für Einzelinterviews oder für Kleingruppen konzipiert. Er kann jedoch durch ausgewählte Fragen einfach für den Klassenverband angepasst werden.
Fazit
Entdeckerfilme können die Fähigkeit fördern, mathematische Sachverhalte zu erkunden, zu beschreiben und zu erklären, um Schlussfolgerungen zu formulieren. Sie animieren zum aktiv-entdeckenden Lernen und regen zum Weiterdenken an, damit sich nachhaltige Lernerfolge durch eigene Erklärversuche und durch selbstständiges Aufstellen von mathematischen Regeln einstellen.
Tipp d. Red: Wenn ihr mit eurer Klasse selbst einmal einen Entdecker- oder Erklärfilm drehen wollt, könnt ihr euch unsere Beitragsreihe „Filmprojekt“ anschauen. Hier findet ihr ganz praktische Informationen dazu.
Literatur
Primärliteratur:
Ahlers, Verena (2017): „Dann muss ich viermal die drei rechnen – kann man ja auch eigentlich plus rechnen“ (Julia, Klasse 1) – Auswirkungen eines alltagsnahen Entdeckerfilmes auf die mathematischen Operationsvorstellungen der Kinder. n.v. Masterarbeit TU Dortmund.
Nienaß, Sandra (2017): Inwieweit verwenden bereits Erstklässler mathematische anstatt exemplarische Argumente, um ihre Entdeckungen aus einem Entdeckerfilm zu verbalisieren? n.v. Masterarbeit TU Dortmund.
Sekundärliteratur:
Astleitner, Hermann & Wiesner, Christian (2004): An integrated model of multimedia learning and motivation. In: Journal of Educational Multimedia and Hypermedia, 13 (1), S. 3-21.
Linneweber-Lammerskitten, Helmut (2011): Wie Lernsticks, Handys und Videoclips individualisierten Unterricht fördern. In: Schule, Lernen, Bildung, 09.07.2011.
Wartha, Sebastian & Schulz, Axel (2013): Rechenproblemen vorbeugen. 2. Aufl., Berlin: Cornelsen.
Downloads
Name: Verena Ahlers
E-Mailadresse: verena.ahlers@gmx.net
Berufliche Tätigkeit: Ich bin Grundschullehrerin im Münsterland und habe derzeit eine erste Klasse mit 25 Schülerinnen und Schülern. Ich mag den Austausch von Materialien und Ideen und bin demzufolge viel auf verschiedenen Blogs unterwegs. Die gegenseitige Unterstützung spart Zeit und Nerven und ist für Lehrerinnen und Lehrer bereichernd.
Was mir Spaß macht: In meiner Freizeit unternehme ich am liebsten Ausflüge in die Natur und reise sehr gerne, vorzugsweise nach Skandinavien.