22. April 2021
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Momentan nutze ich den digitalen Aufwind, der aufgrund der Pandemie über uns hinwegfegt. Bereits seit 2018 arbeiten meine Schülerinnen und Schüler schon in der Schule digital, jedoch wurden die Hausaufgaben bisher immer analog angefertigt. Schon zu Beginn dieses Schuljahres habe ich mit den Kindern das Mailen von Arbeitsergebnissen eingeübt –  in weiser Voraussicht, dass uns erneut ein Lockdown ins Distanzlernen zwingen wird. Momentan sind wir wieder im Präsenzunterricht, doch ich möchte gewisse digitale Errungenschaften auch für die Arbeit zu Hause nutzen.

Eine davon: Flipped Classroom

Das Konzept in Kürze: Die Schülerinnen und Schüler bekommen als Hausaufgabe keine Übungen, sondern fachlichen Input. Dies wird durch Lernvideos, interaktive PDFs, Learningapps oder einer Kombination aus Selbigen realisiert. Am nächsten Tag in der Schule üben die Kinder dann in ihrer Peer-Group. Die Lehrkraft sieht, ob der Lerninhalt verstanden wurde und kann – im Gegensatz zu den Übungen als Hausaufgabe – direkt intervenieren und unterstützen.

Ein Beispiel: Die Kinder erhalten als Hausaufgabe ein kurzes Lernvideo zum Aufbau des Sonnensystems und bearbeiten im Anschluss eine interaktive PDF oder eine Learningapp dazu. So bekommen sie auch direkt eine Rückmeldung, bzw. eine Verbesserung. Am nächsten Tag bearbeiten die Kinder nun eine Aufgabe in der Schule, vertiefen das Gelernte noch einmal und wenden an. Haben sie jedoch bei der Bewältigung der Schulaufgabe Probleme, kann nun die Lehrkraft direkt Hilfestellung geben.

Sonnensystem

Dieses Konzept birgt viele Vorteile. Während des Distanzlernens wurden mannigfach Erklärvideos,  interaktive PDFs und Learningapps erstellt, zusammengesucht und gesammelt. Es wurden digitale Pinnwände etabliert, auf denen sich die Schüler und Schülerinnen zurecht finden. Viele Schule nutzten sogar die LMS-Systeme wie z. B. Moodle oder Logineo, bei denen sie Rückmeldung über den Lernfortschritt der Kinder bekommen. Die Umsetzung dieser digitalen Strukturen war mit sehr viel Aufwand und Mühe verbunden. Auch die Schülerinnen und Schüler haben sich in ein anderes Lernen eingearbeitet. Um nun beim Regelbetrieb der Schulen wieder zum präpandemischen Alltag überzugehen? Welche Verschwendung von Ressourcen!

Homeschooling

Viel sinnvoller ist eine bessere Aufteilung von Lerninhalten auf Haus- und Schulaufgaben, um damit auch die Lernfenster der Kinder optimal zu nutzen. Gerade weil eine Portion Schlaf zwischen Lernen neuer Inhalte und vertiefendem Üben steckt, ist dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt. Auch das eigenverantwortliche Lernen der Schülerinnen und Schüler wird weiter gestärkt, können sie sich doch Ort und Zeit für die Hausaufgaben frei wählen. Haben sie etwas nicht auf Anhieb verstanden, so kann das Lernvideo beliebig oft angeschaut oder gestoppt werden. Eltern haben die Möglichkeit, sich ebenfalls die Inhalte zu Hause anzusehen, um ihrem Kind besser helfen zu können. Oftmals ist es mitunter sehr verwirrend, wenn Lerninhalte von den Eltern völlig anders erklärt werden, als es in der Schule der Fall war.


Erster Versuch: Schriftliche Division im Distanzlernen

Lange habe ich die Einführung der schriftlichen Division im Distanzlernen vor mir hergeschoben. Woche um Woche. Irgendwann reichte es mir und ich habe Tatsachen geschaffen, ein Konzept entwickelt und einfach losgelegt. Realisierung an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, an denen meine Schüler und Schülerinnen verschiedenen „Lerntypen“ zugeordnet werden konnten:

  • Lerntyp „Schule“: an beiden aufeinanderfolgenden Tagen in der Notbetreuung bei mir im Klassenraum
  • Lerntyp „Zuhause“: an beiden aufeinanderfolgenden Tagen mit mir in der Webkonferenz
  • Lerntyp „Mischung“: am ersten Tag zu Hause, am zweiten Tag in der Schule

Von dieser Verteilung ausgehend, hatten alle Kinder unabhängig ihres Standortes die gleiche Lernabfolge:

  1. Die Schülerinnen und Schüler schauten sich ein Erklärvideo zur schriftlichen Division an.
  2. Anschließend „bearbeiteten“ sie eine interaktive PDF, in der Schritt für Schritt noch einmal alles erklärt wurde (-> Danke an @hr.lehrer ).
  3. Sie rechneten mit ganz einfachen Aufgaben selbst parallel mit mir. Dazu habe ich das Arbeitsblatt am iPad ausgefüllt, dazu gesprochen und die Bildschirmaufnahme laufen lassen -> ganz simpler Weg um einfache Lernvideos zu erstellen.
  4. Am nächsten Tag bearbeiten sie weitere Aufgaben und ich kontrolliere, wie gut sie die schriftliche Division verstanden haben.

Und jetzt wird es spannend, hier kommen die Erkenntnisse aus diesem kleinen Experiment: Die Schüler der Schulgruppe haben die schriftliche Division deutlich schneller und besser verstanden als die Jahrgänge, die ich davor hatte (ich unterrichte in Mathematik Klasse 4 das dritte Jahr in Folge!).

Auch die kleine Gruppe derjenigen, die ausschließlich zu Hause gearbeitet haben, konnten die schriftliche Division weitestgehend. Kleinere Unsicherheiten konnte ich ihnen durch Unterstützung per Webkonferenz schnell nehmen. Besonders beeindruckend: Das Erlebnis des Lernzuwachses bei der Misch-Gruppe, also der Kinder, die zu Hause den fachlichen Input bekamen und am nächsten Tag in der Schule mit mir übten. Das möchte ich noch einmal ausprobieren! Wenn es funktioniert, dass ein solch komplexes Rechenverfahren zu Hause „vorgelernt“ werden kann um dann in der Schule gemeinsam geübt zu werden, dann geht das auch mit anderen Lerninhalten. Wie unglaublich schön meine Lehrerrolle dabei: Ich bin Lernbegleiter und kein Dompteur! Was ein Unterschied zu den Jahren davor, an denen ich Mathestunde für Mathestunde an der Tafel stand und mir den Mund fusselig redete!

grünes Ausrufezeichen

Nächster Versuch: Wiederholung der Rechtschreibstrategien

Obwohl wir die Rechtschreibstrategien seit Jahren immer wieder wiederholen: Sie sitzen noch nicht vollends zufriedenstellend. Mithilfe des NIKO-Wörterbuchs, in dem die Rechtschreibstrategien hinter jedem Eintrag verzeichnet sind, erstelle ich passendes Unterrichtsmaterial und starten einen weiteren Versuch zur Evaluation von „Flipped Classroom“. Die Schülerinnen und Schüler bekommen eine „verrückte“ Hausaufgabe: „Schaue dir das Lernvideo an, das ich dir ins digitale Klassenzimmer stelle. Gerne auch mehrmals! Notiere dir Fragen, falls du etwas nicht verstehst!“ Im Video erkläre ich ihnen, wann sich welche Strategie anwenden lässt, zeige Beispiele und ordne Wörter ein. Am nächsten Tag erledigen wir dies dann gemeinsam in einer interaktiven Übung. Erklärungen konnte ich mir komplett sparen. Beim Anblick der Übung hoben die ersten Kinder die Finger und erklärten MIR, wie das Einordnen der Wörter zu den jeweiligen Strategien funktioniert.

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Video zum Üben der Rechtschreibstrategien von Susanne Ruppert, Schwanheim. Nutzung der Screenshots von Microsoft PowerPoint mit freundlicher Genehmigung der Microsoft Corporation.

  • Aktivierung der Kinder: maximal!
  • Unsicherheiten: null!
  • Strahlende Lehrerin: eine!

Im Anschluss sortierten die Kinder zur Festigung noch einmal Wörter auf ein Arbeitsblatt ein. Hier konnte ich mich wirklich auf die wenigen Kinder konzentrieren, die noch ein bisschen Hilfe brauchten. Fazit: Nach diesen beiden Erfolgserlebnissen werde ich das Prinzip „Flipped Classroom“ auf jeden Fall gerade bei komplexeren Themen beibehalten.


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