Das neue Schuljahr steht vor der Tür. Wer Deutsch in Klasse 1 oder 2 unterrichtet, steht nun vor der Herausforderung, den Schülerinnen und Schülern das Schreiben beizubringen. Die Bildungsstandards verlangen, dass die Kinder am Ende von Klasse 4 über eine flüssige und lesbare Handschrift verfügen. Auf welchem Weg diese Handschrift erworben wird, geben sie nicht vor. Die Entscheidung darüber liegt in der Hand der Bundesländer. Während manche Bundesländer explizit vorgeben, welche Schrift für den Handschrifterwerb gewählt werden soll, können sich die Lehrerinnen und Lehrer in anderen Bundesländern zwischen zwei oder mehreren Ausgangsschriften entscheiden.
Doch welche Schrift eignet sich dazu am besten? Beginnt man in Klasse 1 mit Druckschrift und geht dann in Klasse 2 zu einer verbundenen Schrift über? Und welche verbundene Schrift wählt man dann, LA, VA oder SAS? Oder startet man doch besser von Anfang an mit der Grundschrift? Wer sich auf die Suche nach Antworten auf diese Fragen begibt, kann sich bei Google durch eine unendliche Fülle an Zeitungsartikeln, Plädoyers, Leserbriefen und wissenschaftlichen Darstellungen klicken – und bleibt am Ende vielleicht ratloser zurück als zu Beginn der Suche.
Um eine Antwort auf die oben genannten Fragen zu finden, muss man sich erst einmal Orientierung verschaffen im Dschungel der Ausgangsschriften. Wir stellen euch deshalb die verschiedenen Schriften und ihre Besonderheiten genauer vor und erklären euch wichtige Fachbegriffe.
Druckschrift
Eine Sache, auf die sich Schulanfänger bei ihrem Eintritt in die Schule am meisten freuen, ist das Schreiben lernen. Die Schrift, die die Kinder als erstes in der Schule lernen, ist in den meisten Fällen die Druckschrift. Sie eignet sich gut als Erstschrift, da sie den Kindern von Werbeplakaten, aus Büchern etc. bereits aus dem Alltag bekannt ist und auch als Erstleseschrift verwendet wird.
Die Druckschrift wird auch als unverbundene Schrift bezeichnet, da beim Schreiben Buchstabe für Buchstabe nebeneinander gesetzt wird, ohne diese miteinander zu verbinden. Aufgrund ihrer aufrechten Buchstabenformen erscheint die Druckschrift motorisch einfacher als die kursive Schreibschrift und somit besser geeignet für den Erstschreibunterricht.
Ausgangsschrift
Nachdem die Schülerinnen und Schüler die Druckschriftbuchstaben sicher beherrschen, wird – meist Ende Klasse 1 oder Anfang Klasse 2 – zum Schreibschriftlehrgang übergegangen. Dabei ist in manchen Bundesländern vorgeschrieben, welche Schreibschrift von den Kindern zu erlernen ist, während Lehrkräfte in anderen Bundesländern zwischen mehreren Schriften wählen können. Zur Wahl stehen dabei die Lateinische Ausgangsschrift, die Vereinfachte Ausgangsschrift und die Schulausgangsschrift. Da bei der Schreibschrift – anders als bei der Druckschrift – alle Buchstaben miteinander verbunden werden, werden diese Schriften auch als verbundene Schriften bezeichnet.
Lateinische Ausgangsschrift (LA)
Die Lateinische Ausgangsschrift ist die älteste der drei verbundenen Schriften. Ein Beschluss der KMK machte ihre Einführung 1953 an allen Grundschulen in der damaligen Bundesrepublik verbindlich. Erstmals taucht hier die Bezeichnung „Ausgangsschrift“ auf. Sie verdeutlicht, dass die Schrift den Schülerinnen und Schülern als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer eigenen, individuellen Handschrift dienen soll.
Was bei der LA sofort ins Auge sticht, sind die vielen Schnörkel und Wellen, die die Großbuchstaben zieren. Diese Großbuchstaben ähneln noch sehr stark den Großbuchstaben der Deutschen Normalschrift, die bis 1953 in der Grundschule gelernt wurde.
Die Kleinbuchstaben der Lateinischen Ausgangsschrift setzen sich aus drei Bestandteilen zusammen: dem Anstrich (1), der Grundform (2) und dem Endstrich (3). Deswegen werden diese Buchstaben auch als dreigliedrige Buchstaben bezeichnet. Aufgrund der dreigliedrigen Buchstabenform sind in der LA viele Deckstriche, also deckungsgleiche Linien in entgegengesetzter Schreibrichtung, zu schreiben. Besonders häufig kommen Deckstriche bei Buchstaben vor, deren Grundform ein Linksoval beinhaltet (z.B. a, g, c, d). Da beim Schreiben eines solchen Buchstabens nach dem Anstrich ein Drehrichtungswechsel in der Schreibbewegung erforderlich ist, wird ein Teil dieser Buchstaben automatisch doppelt geschrieben. Aber auch Buchstaben wie r, h oder u enthalten Deckstriche.
Vereinfachte Ausgangsschrift (VA)
Die neu eingeführte Lateinischen Ausgangsschrift stieß schon bald auf Kritik. Lehrkräfte und Didaktiker beklagten die häufigen Drehrichtungswechsel und die verschnörkelten Großbuchstaben, die sich in ihren Augen negativ auf den Schreibfluss der Kinder auswirkten. Als Antwort auf diese Kritik entwickelte eine Arbeitsgruppe rund um Heinrich Grünewald die Vereinfachte Ausgangsschrift (VA), die 1980 in ihrer endgültigen Fassung vorlag. Seitdem kann die VA als Alternative zur LA gelehrt werden.
Im Gegensatz zur LA verzichtet die VA auf schmückende Elemente und wirkt dadurch eher schlicht und nüchtern. Die Orientierung der Großbuchstaben an den Druckschriftbuchstaben sowie die Reduktion der Kleinbuchstaben auf Grundform und Endstrich sollen dafür sorgen, dass die Buchstaben schneller erlernt und die Buchstabenverbindungen flüssiger geschrieben werden können als die der LA. Die Zweigliedrigkeit der Kleinbuchstaben bewirkt, dass weniger Deckstriche geschrieben und weniger Drehrichtungswechsel vollzogen werden müssen.
Durch den Verzicht auf Anstriche und eine Verlängerung der Endstriche beginnen und enden fast alle Kleinbuchstaben in der VA am oberen Mittelband. Das soll das Verbinden der Buchstaben erleichtern, da alle Buchstaben einfach aneinandergehängt werden können. Eine Ausnahme bilden Buchstaben mit Linksovalen wie s, o oder a. Sie beginnen nicht am oberen Mittelband und können daher nur mit einem Luftsprung, also einem Abheben des Stiftes vom Papier, mit einem anderen Buchstaben verbunden werden.
Zum Vergleich: In der LA hängt es sehr stark vom nachfolgenden Buchstaben ab, wie die Buchstabenverbindung aussehen muss. Derselbe Buchstabe kann dadurch in einem Wort in zwei unterschiedlichen Gestalten vorkommen, wie das nebenstehende Beispiel zeigt. Dies stellt eine erhöhte kognitive Anforderung an die Schülerinnen und Schüler dar, da sie beim Schreiben bereits die nachfolgenden Buchstaben antizipieren müssen, um diese korrekt an die bereits geschriebenen Buchstaben anzuschließen.
Auch gegenüber der VA wird immer wieder Kritik laut. Häufig kritisiert wird beispielsweise, dass die starke Orientierung am oberen Mittelband dazu führe, dass das Schriftbild bei vielen Kindern unleserlich werde, sobald diese nur noch auf einfachen Schreiblinien schreiben. Auch die Tatsache, dass die Großbuchstaben nicht durch einen Aufstrich mit dem darauf folgenden Kleinbuchstaben verbunden werden, wird häufig negativ bewertet, denn dadurch entstehen bei manchen Schreibern recht große Lücken zwischen dem ersten und dem zweiten Buchstaben eines Wortes.
Schulausgangsschrift (SAS)
Die Schulausgangsschrift wurde von der Schriftgrafikerin Renate Tost und der Schreibdidaktikerin Elisabeth Kaestner entwickelt und 1968 in der DDR als verbindliche Erstschrift für alle Erstklässler festgelegt. Heute wird sie deutschlandweit als eine weitere Alternative zur LA vermittelt.
Die Großbuchstaben sind, wie in der VA auch, an den Druckschriftbuchstaben orientiert, da die Schülerinnen und Schüler sich diese Formen leichter einprägen und schneller automatisieren können. Die Kleinbuchstaben bestehen, ebenso wie die der LA, aus drei Bestandteilen. Daher müssen auch in der SAS beim Schreiben der Kleinbuchstaben Deckstriche geschrieben und Drehrichtungswechsel vollführt werden. Die Kleinbuchstaben beginnen entweder an der Grundlinie oder kurz unterhalb des oberen Mittelbandes.
In der SAS lassen sich drei mögliche Verbindungsarten unterscheiden:
- Endstrich oder Schlaufe gehen durch einen straffen Aufstrich in den darauffolgenden Buchstaben über (a)
- eine extra angesetzter Aufstrich an der Grundlinie (nach einigen Großbuchstaben sowie s und ß) (b)
- Verbindung an der Mittellinie (bei Buchstaben mit Querstrich; diese Verbindung richtet sich jeweils nach dem nachfolgenden Buchstaben) (c)
Kritik an der SAS richtet sich, wie schon bei der LA, gegen die Drehrichtungswechsel und Deckstriche, die eine häufige Ursache für Verkrampfungen beim Schreiben darstellen. Kritisch gesehen wird auch das kleine t, das durch den verschnörkelten Verbindungsstrich schwer zu schreiben ist.
Grundschrift
Die Grundschrift wurde 2011 vom Grundschulverband als ein neues Konzept zum Handschrifterwerb vorgestellt und sorgt seitdem immer wieder für Schlagzeilen. (Auch im Zebrafanclub habt ihr damals viel über die Grundschrift diskutiert). Die Vertreter des Grundschrift Ansatzes sehen es äußerst kritisch, dass die Schülerinnen und Schüler nach dem Erlernen der Druckschrift noch eine weitere, verbundene Schrift erlernen sollen. Dies stellt für sie einen Bruch in der Schreibentwicklung dar, da alle Fähigkeiten, die die Kinder in Klasse 1 erworben haben, nun in einem anderen Schriftsystem erneut aufgebaut und eingeübt werden müssen. Das Grundschrift-Konzept sieht daher vor, dass die Schülerinnen und Schüler nur eine Schrift erlernen, aus der nach und nach die eigene, individuelle Handschrift entwickelt wird. Dabei haben die Kinder die Freiheit, die Buchstaben unverbunden, verbunden oder teilverbunden zu schreiben.
Der Grundschrift-Lehrgang beginnt -anders als bei den anderen Ausgangsschriften – bereits in Klasse 1. Die Grundschriftbuchstaben sind den Druckschriftbuchstaben nachempfunden. Bei den Kleinbuchstaben, die auf der Grundlinie enden, mündet der Endstrich in ein kleines, nach oben gebogenes Häkchen. Dieses Häkchen ermöglicht eine schwungvollere Bewegungsausführung und soll es später leichter machen, die Buchstaben miteinander zu verbinden. In einem ersten Schritt werden alle Buchstaben unverbunden geübt. Die Schriftvorgabe soll dabei explizit nicht als Norm, sondern als Orientierungshilfe verstanden werden. Ein Abweichen von der vorgegebenen Buchstabenform und -schreibweise ist zulässig, sofern der Schreibfluss und die Leserlichkeit nicht zu stark beeinträchtigt werden.
In einem zweiten Schritt werden mögliche Buchstabenverbindungen thematisiert. Die Schülerinnen und Schüler lernen verschiedene Buchstabenvarianten und Verbindungsmöglichkeiten von zwei Buchstaben kennen und entscheiden dann selber, ob sie die Buchstaben verbunden oder unverbunden schreiben wollen. Diese Entscheidung treffen sie allein oder mit anderen Mitschülerinnen und Mitschülern in einer Schriftkonferenz. Die Entscheidung erfolgt dabei immer auf der Grundlage von drei Kriterien: Lassen sich die Buchstaben gut erkennen? Sind die Buchstaben leserlich? Kann ich die Buchstaben mit Schwung schreiben?
Die große Eigenverantwortung, die den Kindern beim Erlernen der Grundschrift und der daraus resultierenden Entwicklung ihrer persönlichen Handschrift übertragen wird, sehen viele Schreibschriftbefürworter äußerst kritisch. In ihren Augen sind Buchstabenform- und -schreibweise nicht verhandelbar. Es brauche konkrete Vorgaben und Anleitungen, damit sich Bewegungsabläufe automatisieren und festigen können. Das unverbundene oder teilverbundene Schreiben der Buchstaben würde es den Kindern außerdem erschweren, die Buchstaben als eine Einheit (Morphem, Silbe oder Wort) wahrzunehmen.
Welche Schrift ist nun am besten geeignet?
Bisher liegen noch keine Studien vor, die hinreichend belegen können, dass der Handschrifterwerb mit der Grundschrift besser gelingt als mit der Schreibschrift. Ebenso fehlen handfeste Belege dafür, welche der drei Schreibschriften die beste Grundlage für eine flüssige und lesbare Handschrift darstellt.
Sicher ist jedoch eines: Wie erfolgreich Kinder das Schreiben erlernen und wie geläufig und leserlich ihre Schrift am Ende der vierten Klasse ist, hängt zu einem großen Teil von der Überzeugung der Lehrkraft und der Art und Weise der Vermittlung ab. Wer eine Schrift unterrichten muss, von der er nicht überzeugt ist, wird bei der Vermittlung automatisch weniger erfolgreich sein als jemand, der hundertprozentig hinter der zu erlernenden Schrift steht. Und wer seinen Schülerinnen und Schülern genügend Zeit und Freiraum gewährt, um ihre Schrift zu üben, zu erproben, zu reflektieren und individuell weiterzuentwickeln, der kann sicher sein, dass diese Kinder zu kompetenten Schreibern werden – ganz unabhängig davon, ob sie nun Grundschrift oder Druckschrift, LA oder VA gelernt haben.
Was sind eure Erfahrungen mit den verschiedenen Ausgangsschriften? Welche Schrift nutzt ihr bei euch in der Schule? Wir freuen uns über eure Erfahrungsberichte aus der Praxis!
Viele Grüße, Kristina
4 Kommentare
Vielen Dank für die Erläuterungen. Am Ende des Artikels ist man allerdings leider so schlau wie zuvor, da offenbar alles an der Lehrkraft hängt. Ich stehe am Ende der 1. Klasse jetzt vor der Frage – was bringe ich meiner Tochter in den Sommerferien für eine Schreibschrift bei, bevor in der 2. Klasse die Grundschrift eingeführt wird, die ich nicht für sinnvoll halte, um ein gutes Schriftbild und ein flüssiges Schreiben zu erlernen. Was ist nun die beste Wahl, unabhängig vom Engagement der Lehrkraft? Welche Empfehlung haben Sie?
Liebes Rotkehlchen,
entschuldigen Sie bitte die späte Antwort, wir haben uns erst mit der Redaktion besprochen. Aus unserer Sicht ist es nicht sinnvoll als Elternteil dem eigenen Kind die Schreibschrift beizubringen (und erst recht nicht in den Ferien 😀). Wo soll das Kind dann die Schreibschrift anwenden, wenn gleichzeitig in der Schule dann die Grundschrift gelernt wird? Wir raten Ihnen auf die Lehrkraft zu vertrauen. Die meisten Kinder eigenen sich bis zum Ende der Grundschule ohnehin einen individuelle Schreibschrift an.
Herzliche Grüße vom Grundschul-Blog-Team
Hallo Zusammen, nach 2,5 Jahren Grundschulkind mit erlernter Grundschrift und darauf folgender VA halte ich wenig von der VA und absolut gar nix von der Grundschrift.
Ich vertraue den Lehrern, bin total unvoreingenommen heran gegangen, aber die Grundschrift selbst erzeugt derartig viele Probleme und auch orthografische Fehler, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann. Und das betrifft nicht nur mein Kind, wenn man mal anfängt rumzufragen hört man in allen Ecken, welche Probleme die GS später macht.
Man kann sich die Mühe machen, einige Marker für LRS anzusehen und kann dann drüber nachdenken, ob die mit einer gut geübten Schreibschrift eigentlich entstehen können…
Es ist verschwendete Zeit die Buchstaben zu malen statt zu schreiben, denn diesen Charakter hat die GS. Eine Schreibschrift ist sicher mühsamer am Anfang, zahlt sich aber später durch die motorisch-neurologische Verknüpfung mehrfach aus. Dieser Benefit wird den Kindern verwehrt. Da nützt auch die nachgelagerte VA nichts, denn die Straße die zuerst im Gehirn gebaut wird, ist meist die dominantere.
Ich bin ehrlich gesagt sauer, dass den Kindern solche Brocken in den Weg gelegt werden.
Vielen Dank für deinen Kommentar!
Das tut uns leid, dass dein Kind erst die Grundschrift und dann eine weitere Schreibschrift lernen musste! Das sind insgesamt 6 verschiedene Schriftbilder je Buchstabe, da ja auch die Druckschrift zumindest als Leseschrift erlernt werden musste … Du schreibst, dass die Grundschrift viele Probleme verursacht, kannst du uns die Hauptprobleme bitte einmal schildern? Welche Marker für LRS meinst du konkret? Das würde uns sehr interessieren. Du schreibst zurecht über die motorisch-neurologische Verknüpfung. Du hast uns mit deinem Kommentar sehr viele Impulse geschickt. Daraus könnten wir einen weiteren Artikel zum Schriftendschungel machen – vielen Dank dafür und herzliche Grüße vom Grundshcul-Blog-Team