13. August 2022
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Linkshändigkeit - Linkshänder:in schreibt in Heft
Der internationale Linkshändertag findet immer am 13. August statt. 1976 rief der US-amerikanischen Soldat Dean R. Campbell, der 1975 auch die Organisation „Lefthanders international“ gründete, diesen Tag zum Weltlinkshändertag aus. Er wollte auf die Bedürfnisse und Belange von Linkshänder:innen in der damaligen, von Rechtshänder:innen geprägten Welt, aufmerksam machen.

Hand auf’s Herz! Was wisst ihr über Linkshändigkeit und darüber, wie wir in der Schule damit umgehen sollten? Haltet ihr das Thema für bedeutsam?

„Frau Ley, mein Sohn wechselt beim Malen und Schreiben immer wieder die Hand. Ich bin mir nicht sicher, ob er Rechts- oder Linkshänder ist. Können Sie mal darauf achten und mir weiterhelfen?“ ‚Ja, … aber wie?‘, ging es mir durch den Kopf. Spätestens bei dieser Frage wurde mir klar: Ich weiß, dass ich nichts weiß – über die Händigkeit von Kindern und deren Bedeutung.  Wie finde ich heraus, welche Händigkeit ein Kind hat? Warum ist es überhaupt wichtig zu wissen, mit welcher Hand es schreibt? Welche Konsequenzen hat es, wenn es auf die andere Hand umschult? Was muss ich beachten? Wie gehe ich damit um? Diese und ähnliche Fragen taten sich auf. Ich machte mich auf die Suche nach Informationen und je tiefer ich in die Thematik eintauchte, desto bewusster wurde mir: Hier braucht es Fachwissen und Know-how, denn ein falscher Umgang mit Linkshändigkeit kann fatale Folgen haben.


Motorische Geschicklichkeit ist keine Frage der Händigkeit

Laut einer groß angelegten internationalen Studie des Forschungsteams um Papadatou-Pastou (2020) liegt der offizielle Anteil an Linkshändern in der Weltbevölkerung bei etwa 10%. Dieser geringe Prozentsatz spiegelt aber nicht unbedingt die Realität wider, denn viele ursprüngliche Linkshänder:innen sind umerzogen worden auf die rechte Hand. Dementsprechend kursieren Schätzungen über den wahren Anteil an originären Linkshänder:innen, die zwischen 20 und sogar 50% liegen.

Was bis in die 1980er Jahre hinein gesellschaftlich noch gängige Meinung war, nämlich dass linkshändige Kinder auf die rechte Hand umzuerziehen seien, ist vor allem im Bewusstsein der Bildungsverantwortlichen glücklicherweise widerrufen. Von der „bösen“ und der „guten“ Hand spricht in der Regel niemand mehr.

Dies ist unter anderem der wissenschaftlichen Forschung zu verdanken, die bestätigt hat, dass Linkshänder:innen die gleiche Geschicklichkeit aufweisen wie Rechtshänder:innen. Auch beim Schreibenlernen sind Lernvoraussetzungen und Lernchancen bei Links- und Rechtshänder:innen identisch. Linkshänder:innen haben also keinerlei Nachteile, wenn sie mit ihrer starken Hand schreiben lernen.

Dennoch kommt es immer noch vor, dass linkshändige Kinder sich selbst auf die rechte Hand umtrainieren. Häufig sind es die Kinder selbst, die sich an die Allgemeinheit anpassen und sich eher unbewusst umschulen. Eine solche Umerziehung kann jedoch ernsthafte negative Folgen haben.


Warum wir das Thema Linkshändigkeit nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten

Ob jemand Links- oder Rechtshänder:in ist, wird – so die Wissenschaft – höchstwahrscheinlich schon bei der Geburt festgelegt. Dies ist unter anderem genetisch verankert und hängt damit zusammen, welche der beiden Gehirnhälften die dominantere ist. Jede unserer Gehirnhälften ist über die Hauptnervenstränge mit der jeweils gegenüberliegenden Körperseite verbunden. Sie werden also überkreuz gesteuert. Bei jedem Menschen ist eine dieser Gehirnhälften und somit auch eine der Hände führend. Eine dominante linke Gehirnhälfte führt zur Rechtshändigkeit. Eine dominante rechte dagegen zur Linkshändigkeit. Was bedeutet dies für die motorischen Fertigkeiten? Die dominante Hand ist in der Lage schneller, präziser und geschickter zu agieren. Sie übernimmt dementsprechend anspruchsvollere Aufgaben der Feinmotorik. Die nicht-dominante Hand agiert dabei eher als helfende Hand, indem sie die Handlung vorbereitet, begleitet und haltend unterstützt.

Mit ca. 3 Jahren wird in der Regel von außen erkennbar, ob ein Kind Links- oder Rechtshänder:in ist. Spätestens mit dem Schuleintritt sollte dies aber deutlich sein. In Ausnahmefällen wechseln Kinder noch länger von Hand zu Hand. Dann sollte mithilfe von Experten ermittelt werden, welche Hand die dominante ist.

Warum ist das so wichtig?

Die Psychologin Johanna Barbara Sattler setzt sich seit über 30 Jahren mit dem Thema Händigkeit in unserer Gesellschaft auseinander. Sie geht davon aus, dass die Benutzung der falschen Schreibhand bzw. Umerziehung der Hand von links auf rechts schwerwiegende Probleme nach sich ziehen kann, angefangen mit Konzentrationsproblemen oder einer Beeinträchtigung der Feinmotorik über Lese- Rechtschreibschwierigkeiten oder ADHS-ähnliche Verhaltensauffälligkeiten bis hin zu Minderwertigkeitsgefühlen und Depressionen. Dies hängt damit zusammen, dass die jeweiligen Gehirnhälften in solchen Fällen jeweils dauerhaft über- bzw. unterfordert werden. (Für tiefergehende Infos, siehe Meine Buchtipps)

Mir als Lehrerin ist klar geworden, wie wichtig es ist, in der Schule kompetent mit dem Thema Händigkeit umzugehen.


Wie wir Linkshänder:innen in der Schule gezielt unterstützen können

Nachdem ich mich schlau gemacht hatte, was es mit dem Thema Linkshändigkeit auf sich hat, konnte ich unterstützende Maßnahmen ergreifen und meine Materialsammlung noch einmal überprüfen und ergänzen. Hier kommen meine praktischen Tipps für euch:

1. Klärt eure Eltern und Kinder auf

Wenn ihr die Vermutung habt, ein Kind könnte linkshändig veranlagt sein, sprecht mit den Eltern darüber und klärt sie auf, dass Linkshändigkeit nicht „unnormal“ ist, und warum es wichtig ist, dem Kind diese Präferenz zu lassen. Greift dieses Thema auch generell in der Klasse auf und räumt mit den diffusen Vorurteilen bei Kindern und Eltern auf.

2. Gebt Eltern und Kindern Tipps zum Schreibenlernen und sorgt für eine gute Schreibhaltung

Linkshänder:innen verkrampfen oft in ihrer Handhaltung, was langfristig zu Haltungsschäden führen kann. Zeigt euren Linkshänder:innen, wie sie den Stift halten und ihr Blatt ausrichten, um eine lockere Schreib- und Malhaltung einnehmen zu können, und bleibt dran, denn diese Haltung will geübt werden. Für Linkshänder:innen sollte die Schreibfläche immer links liegen. Das Schreibpapier bzw. Heft sollte ca. 30 Grad schräg nach rechts unten geneigt sein. Dabei kann eine Markierung oder eine käuflich erwerbbare Unterlage helfen. Um eine verkrampfte Handhaltung zu vermeiden, sollten die Finger unter der Schreiblinie bleiben. Eine tolle Hilfe bietet das Schreibmotorik Institut e.V. an. Dort findet ihr Lernvideos für Links- und Rechtshänder:innen zur Stift- und Sitzhaltung, zur fließenden Schreibmotorik, zum angemessenen Schreibdruck u.v.m. Den Link findet ihr am Ende des Artikels.

3. Eure Lernenden benötigen geeignete Werkzeuge und geeignetes Material

Gute ergonomische Schreibwerkzeuge sind essenziell für die Ausbildung einer guten Schreibmotorik, nicht nur für Linkshänder:innen. Aber diese brauchen Schreibutensilien, die speziell für sie entwickelt wurden. Dazu gehört übrigens auch ein linkshänderfreundlicher Computerplatz mit entsprechender Maus und auch Tastatur. Füller sind für Linkshänder:innen oft ein Problem aufgrund der empfindlichen Schreibfeder. Hier sind Tintenroller eine gute Alternative.

Übrigens: Wusstet ihr, dass die Entwicklung der Schreibmotorik beim Verlassen der Grundschule noch längst nicht abgeschlossen ist? Es ist sogar so, dass es immer wieder zu Stagnationen kommt, unter anderem –  so Sattler – weil die starren formalen Vorgaben der Schreibschrift den Kindern motorisch sehr viel abverlangen und die Entwicklung einer individuellen Handschrift erschweren.  Am Ende der 4. Klasse ist die kindliche Schreibgeschwindigkeit noch etwa 38% langsamer als die eines Erwachsenen. Wir sollten das Lernfeld der Schreibmotorik also bis zum Abschluss der vierten Klasse generell bewusst im Auge behalten. Wer sein Wissen allgemein zum Thema Händigkeit vertiefen möchte, dem empfehle ich die Website des Schreibmotorik Institut e.V., einem führenden Forschungsinstitut für Handschreiben und Schreibmotorik mit interdisziplinärem Ansatz aus den verschiedensten Forschungsbereichen.

4. Achtet auf die richtige Sitzordnung

Linkshänder:innen sollten immer links vom Rechtshänder/von der Rechtshänderin sitzen, weil die zwei sich sonst beim Schreiben in die Quere kommen. Ideal wäre, wenn das Licht von rechts vorne kommt.


Wie können wir erkennen, ob jemand Links- oder Rechtshänder:in ist?

Meine persönliche Antwort auf diese Frage ist: gar nicht. In diesem Alter jedenfalls nicht verlässlich, wenn wir nicht entsprechend geschult sind. Ich habe der Mutter, die mich gebeten hatte, zu klären, ob ihr Junge Links- oder Rechtshänder ist, empfohlen, sich an einen Fachmann/eine Fachfrau zu wenden. Dafür gibt es speziell ausgebildete Linkshänderberater:innen. Aber auch viele Ergotherapeut:innen oder Ärzt:innen können unter Umständen bei dieser Einschätzung helfen.


Wo gibt es weitere Infos und Unterstützung?

Der Verein Erste deutsche Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder e.V. in München bietet deutschlandweit Online-Vorbereitungskurse für linkshändiges Schreiben (Jobasa Club), Händigkeitstests, Beratungen für umgeschulte Linkshänder:innen, Rückschulungen auf die linke Hand, weiterführendes Infomaterial und Produkte für Linkshänder:innen an. Hier findet ihr auch eine Liste mit Suchfunktion nach Regionen mit Linkshänderberater:innen, die u. a. bei der Ermittlung der Händigkeit helfen können. Wer möchte, kann dort auch selbst eine Online-Fortbildung zum/zur zertifizierten Linkshänderberater:in machen.

Beim Schreibmotorik Institut e.V. könnt ihr euer Wissen zum Thema Händigkeit vertiefen. Dort werden unter anderem Seminare speziell für Lehrkräfte zur Händigkeit angeboten, aber auch die oben genannten Lernvideos für Kinder.


Meine Buchtipps:

  • J. B. Sattler (2021): Das linkshändige Kind in der Grundschule (1. bis 4. Klasse) (Linkshändigkeit), 18. Auflage, Auer Verlag, der Klassiker zum Einlesen in die Gesamtthematik der Linkshändigkeit mit allen theoretischen und praktischen Sinnbezügen.
  • STABILO (2019): Praxisbuch Schreib- und Graphomotorik (1./2. Klasse) – Schreiben lernen leicht gemacht, Stabilo Verlag, 106 Seiten, ein wissenschaftlich fundiertes Praxisbuch mit spielerischen Übungen zur Entwicklung einer guten Schreibmotorik

Daneben gibt es mittlerweile zahlreiche Vorbereitungs- und Übungsbücher für das linkshändige Schreiben. Zu den Autoren gehören auch Johanna Barbara Sattler und Christian Marquardt, bei denen ihr davon ausgehen könnt, dass diese zwei über das entsprechende Know-how verfügen.


Literaturverzeichnis
- B. Fischl: Der Knacks im Gedächtnis. Umgeschulte Linkshänder – Kongressbericht, Zugriff am 08.08.2022, URL: https://lefthander-consulting.org/deutsch/netzwerk/infomaterial/der-knacks-im-gedaechtnis/
- Papadatou-Pastou, M., Ntolka, E., Schmitz, J., Martin, M., Munafò, M. R., Ocklenburg, S., & Paracchini, S. (2020): Human handedness: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 146(6), 481–524. URL: https://doi.org/10.1037/bul0000229
- B. Sattler, C. Marquard (2020):  Motorische Schreibleistung von linkshändigen und rechtshändigen Kindern in der 1. bis 4. Grundschulklasse. In: Ergotherapie und Rehabilitation 49, Teil 1 und 2.
- B. Sattler (2021): Das linkshändige Kind in der Grundschule: (1. bis 4. Klasse) (Linkshändigkeit), 18. Auflage, Auer Verlag
- B. Sattler: Psychische Probleme durch Umschulung, Zugriff am 08.08.2022, URL: https://lefthander-consulting.org/deutsch/netzwerk/infomaterial/psychische-probleme-durch-umschulung/
- Sturm (2019): Warum gibt es Linkshänder?, Zugriff am 07.08.2022, URL: https://www.spektrum.de/news/linkshaender-die-ursachen-der-haendigkeit/1662042
- Schreibmotorik Institut e.V. (2017):  Anders schreiben, anders denken – Fakten zur Linkshändigkeit; Zugriff am 07.08.2022, URL: http://www.schreibmotorik-institut.com/index.php/de/fakten-und-tipps/fachwissen/612-anders-schreiben-anders-denken-fakten-zur-linkshaendigkeit
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