25. Mai 2022
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Ein holpriger Start in den Tag

Drei Minuten nach acht Uhr kommen abgehetzt noch Robert, Levi und Theresa in das Klassenzimmer (fiktive Namen). „Entschuldigung, aber der Bus hatte Verspätung“, stammelt Levi. „Können Sie sich das vorstellen, erst war er 15 Minuten zu spät und dann ist er sogar einmal fast über rot gefahren“, ruft Theresa aufgeregt in die Menge. Zwei Minuten später klopft es an der Tür, die Sekretärin streckt den Kopf herein: „Luisa und Emre sind krank, Leonie kommt erst zur dritten Stunde, sie muss zum Zahnarzt. Und kannst du bitte die Pausenaufsicht für Frau Maier übernehmen?“ Am Boden liegen verstreut Blätter, die eigentlich auf den Hausaufgabenstapel sollen. Einige rutschen unruhig hin und her, weil sie Angst haben, ertappt zu werden, dass sich ihre Hausaufgabe nicht auf ebendiesem Stapel, sondern unausgefüllt in der Schultasche befindet.

Klassenzimmer, Kinder rennen, Lehrerin verzweifelt

So oder so ähnlich beginnt wahrscheinlich an vielen Grundschulen der Unterricht – angefüllt mit Unterbrechungen und Unruhe, was einen angenehmen Start nicht ermöglicht. Wenn man sich an dieser Stelle keine Lösung überlegt, wie Ruhe in die Klasse kehren kann, dauert es oft bis zur ersten Pause, bis die Kinder mit der dazu notwendigen Aufmerksamkeit in die Arbeit finden können. Deshalb habe ich einige Ideen gesammelt, wie der Tag richtig starten und durch gezielte Ruheinseln immer wieder zur Konzentration gefunden werden kann.


Hausaufgabenchaos ade

Notizhefte

Dem Problem der fehlenden Hausaufgaben und der Kontrolle der Hefte kann man mithilfe von Hausaufgabensheriffs Herr werden. Der Klassendienst der Hausaufgabensheriffs ist mit der Aufgabe betraut, vor Unterrichtsbeginn alle abgegebenen Hefte auf einer Liste abzuhaken und zu überprüfen, ob auf den entsprechenden Seiten auch wirklich etwas ausgefüllt ist. Um kein Kind bloßzustellen, empfiehlt es sich, zusätzlich zu den Namen jedem Kind eine Nummer auf das Heft zu drucken und anstatt einer Klassenliste eine nummerierte Liste an die Sheriffs zu übergeben. So sehen die kontrollierenden Kinder zwar, dass die Hausaufgabe von Nummer 23 fehlt, wissen aber nicht, welcher Schüler oder welche Schülerin sich dahinter verbirgt. Diese Methode spart Zeit und übergibt die Verantwortung an die Schüler weiter, so kann man in Ruhe den Tagesablauf am Pult vorbereiten und andere Fragen klären.


Ruhe zum Start in den Tag

Eine Minute Stille

So habe ich häufig die Stunden in Klassen begonnen, in denen ich nur als Fachlehrkraft und nicht als Klassenleitung war. Anfangs konnten die Kinder diese eine Minute, in der sie nur die Augen schließen und ruhig und leise atmen sollten, kaum aushalten. Sie haben gekichert, sich gegenseitig angestachelt, Quatsch zu machen und empfanden die Minute als unendlich lang. Doch nach einigen Wochen verlangten sie bald nach genau dieser Minute. Meist reicht die Zeit, um die Schülerinnen und Schüler auf den Tag einzustimmen. Gespräche sind dann lange genug beendet, um nicht direkt nach der gemeinsamen Begrüßung wieder aufgenommen zu werden und die aufgeladene Stimmung des Morgens ist dann etwas abgeflacht. Eine einfache Methode, um schnell alle auf die Stunde einzustimmen.

Die Fantasiereise

In Klassen mit sehr jungen Kindern funktioniert die Methode der stillen Minute nicht immer, sie werden dabei ungeduldig, zappeln und wollen danach direkt alle ihre Gedanken loswerden, die ihnen in der Zeit in den Kopf geschossen sind. Hier bietet sich die altbewährte Methode der Fantasiereise an. Dabei kann entweder ein entsprechender Text vorgelesen werden, der die SchülerInnen an bestimmte Orte führt oder die Aufmerksamkeit bei geschlossenen Augen auf alle Umgebungsgeräusche gerichtet werden. Das können die Laute von umliegenden Klassenräumen oder Fluren oder auch die Atemgeräusche der Klasse, das Streichen der eigenen Hände auf den Oberschenkeln oder das Schlurfen mit den Hausschuhen sein. Wichtig ist dabei, dass die Konzentration bewusst gelenkt wird, was diese wiederum für spätere Aufgaben schärft.

Die Konzentrationsecke

Aufwühlende Ereignisse im Elternhaus, ein schlechter Start in den Tag, Streit mit einem Mitschüler oder eine Note, mit der man nicht gerechnet hat – verschiedene Ursachen führen dazu, dass Kinder kurzzeitig aus der Spur kommen und wieder zu sich finden müssen. Um sie zurück auf Kurs zu bringen, helfen kurze Auszeiten, in der die Aufmerksamkeit kurzzeitig vom Unterrichtsgeschehen abweichen darf. Bewährt hat sich dabei die Konzentrationsecke. In diesem Bereich des Klassenzimmers finden die Schülerinnen und Schüler kleine Aufgaben, die ihre Konzentration fordern und sie geistig kurz vom Alltag entfliehen lassen. Der Bereich sollte möglichst reizarm konzipiert sein. Schlichtes Mobiliar und eine farbliche Unterscheidung vom restlichen Klassenzimmer durch einen Teppich oder Möbel in Naturtönen, die den Bereich eingrenzen, sollen bereits Ruhe verströmen.

Pompoms/Wattebällchen im Glas

Eine mögliche Stilleaufgabe besteht aus einem Glas mit kleinen verschiedenfarbigen Pompons, die mit einer Pinzette in Röhrchen mit der passenden Farbe sortiert werden müssen. Der Umgang mit der Pinzette erfordert Geschick und die Zeit, die das Abschließen der Aufgabe erfordert, reicht oft schon aus, damit der Ärger verdampft ist und der Kopf erneut dem Unterricht gewidmet werden kann. Alternativ lassen sich auch Naturmaterialien wie Eicheln, Nüsse oder Zapfen sortieren. Auch Schüttelboxen mit verschiedenen Inhalten, die nur mithilfe des Gehörs zu Paaren sortiert werden, lenken kurzzeitig die Gedanken in eine andere Richtung und dienen der Rückkehr zur Stille. Die Aufgaben sollten im Umfang begrenzt sein und auf natürliche Weise zu einem klar definierten Ende kommen. Als maximale Zeitdauer sind fünf Minuten anzusetzen, danach kommt das Kind wieder ruhig an seinen Platz zurück.


Ruhe während der Arbeitsphasen

Das Lernbüro – Konzentration durch Reizarmut

Um bestimmte Schülerinnen und Schüler, die während Einzelarbeitsphasen oft Probleme mit der Konzentration haben, störungsfrei und aufmerksam arbeiten zu lassen, bieten sich Lernbüros an. Wie genau das Lernbüro eingesetzt werden kann und wie man es mit einfachen Mitteln selbst herstellen kann, verrate ich im nächsten Artikel.

Flexible seating – Durch flexible Sitzordnungen Stille und Konzentration fördern

konzentrierte Schüler

Auch aus dem Alltag in Großraumbüros können Ideen abgeleitet werden, die den SchülerInnen helfen können. In vielen Konzernen gehören höhenverstellbare Schreibtische zum Standardmobiliar und in Flex-Offices kann jeden Tag mithilfe von Rollcontainern ein anderer Sitzplatz gewählt werden kann. Diese Ideen können in verschiedenen Phasen des Unterrichts gewinnbringend kopiert werden. Ein ganz freies Sitzkonzept ist nicht mit jeder Klasse möglich, häufig scheitert es auch am Wechsel der unterschiedlichen Lehrkräfte, die täglich in eine Klasse kommen, doch in Freiarbeitsphasen bietet es sich in den meisten Fällen an. So kann zum einen die Klassenzimmertür geöffnet werden und die Schüler können sich auch in kleinen Gruppen mit maximal drei Schülern auf den Flur verteilen.

Zum anderen können Regale als Stehtische dienen und verschiedene Unterlagen (Schaumstoffpolster, Teppichfliesen oder Kissen) einen Arbeitsplatz auf dem Boden kreieren. Auch die Lernbüros dienen in dieser Zeit der Einzelarbeit und sollten als fester Bestandteil in die flexible Sitzordnung eingebunden werden. Kleine Tabletts mit ausklappbaren Füßen können als Arbeitsplätze im Klassenzimmer verteilt werden. Neben der Möglichkeit, mit wechselnden Partnern zu arbeiten, helfen diese Phasen auch der Rückengesundheit durch Entlastung und Veränderung der Körperhaltung. Grundschülern fällt es nicht nur schwer, lange in der gleichen Position zu sitzen, es demotiviert auch nach einiger Zeit. Neue Arbeitsplätze und wechselnde Partner geben wieder neue Energie und die Ruhe wird trotzdem gefördert, da nach zu langem Stillsitzen viele Kinder zappelig werden und einen Ausgleich brauchen.


Ich hoffe, diese Anregungen, die teilweise ohne jegliche Vorbereitung umzusetzen sind, können euch etwas Erleichterung und gesteigerte Aufmerksamkeit in den Schultag bringen. Denn auch wir müssen achtsam mit unserer Kraft sein und innere Ruhe ausstrahlen. Denn nur, wenn wir selbst Stille aussenden können, sind die Kinder fähig, sie zu spiegeln.

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