10. Mai 2020
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Aus dem Vollen schöpfen und auswählen, was passt

Ein ambitioniertes Ziel: Ab diesem Jahr sollen in Estland alle Schulbücher und Lernmaterialien auch digital verfügbar sein. Doch wo sind sie zu finden und wie arbeiten Lehrkräfte mit ihnen in der Praxis? Lehrerin Anneli Dietrich berichtet uns von ihren Erfahrungen.

Doch bevor wir uns mit digitalen Schulbüchern in der Praxis beschäftigen, möchte ich euch zum Einstieg noch ein paar Hintergrundinfos geben: Die verbreitetste Plattform für digitale Schulbücher in Estland ist Opiq. Nahezu alle großen Bildungsverlage sind hier inzwischen mit ihren Schulbüchern für fast alle Fächer vertreten. Das Besondere: Die Nutzung ist für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler kostenlos. Die Kosten trägt das Bildungsministerium.

So funktioniert‘s:

Jeder Nutzer hat ein persönliches Konto, um auf die interaktiven Lerninhalte zugreifen zu können. Lehrkräfte können für ihren Unterricht passende Inhalte und Aufgaben aus verschiedenen Büchern quasi wie eine Playlist zusammenstellen, den Schülerinnen und Schülern auch Hausaufgaben senden und Aufgaben über die Plattform benoten. Die interaktiven Aufgaben sind prinzipiell so angelegt, dass die Schülerinnen und Schüler auch selbstständig mit ihnen üben können.

Bei der digitalen Aufbereitung der Schul- und Arbeitsbücher arbeiten die Verlage eng mit der Plattform zusammen. Antti Rammo von Opiq bringt das so auf den Punkt:

„Die Verlage sind die Experten für die Inhalte, die Betreiber der Plattform sind die Experten dafür, wie man die Inhalte auf eine für Lehrkräfte und Schüler sinnvolle Art und Weise, die Mehrwert bietet, digitalisiert.“


Digitale Schulbücher in der Praxis

Anneli Dietrich unterrichtet im äußersten Nordosten Estlands, an der Illuka-Schule im Landkreis Ida-Viru. Sie setzt inzwischen voll und ganz auf digitale Schulbücher. Auf meine Frage, ob es zu Beginn eine große Umgewöhnung für sie gewesen sei, mit digitalen Schulbüchern zu arbeiten, antwortet sie:

„Das war für mich weder eine große Herausforderung, noch eine Umstellung, da in Estland ohnehin viele digitale Materialien und Lernprogramme im Unterricht eingesetzt werden. Denn eine zentrale Kompetenz, die im Curriculum verankert ist, ist die Digitalkompetenz. Digitale Schulbücher helfen dabei, diese Kompetenz zu entwickeln – am besten, wenn sie über interaktive Aufgaben verfügen“, so die Lehrerin.

Das ist natürlich wirklich keine große Umstellung, da sieht es in Deutschland schon anders aus …. Was mich aber natürlich ganz  besonders interessiert, ist, was für Anneli Dietrich die wesentlichen Vorteile digitaler Schulbücher sind. Zusammenfassend bringt sie es auf den Punkt:

„Die Freiheit beim Unterrichten.“

Dank der digitalen Plattformen könne sie auf die Lehrwerke verschiedener Verlage zugreifen und jeweils das verwenden, was am besten zu ihrer Lerngruppe passt. Dietrich erklärt:

„Die verbreitetste Plattform momentan ist Opiq.ee. (…). Sie verfügt über Schulbücher,Lernwerkzeuge, Lerntagebücher, Selbstbewertungssystem und andere hilfreiche Dinge. Die Lernumgebung kann an PC und Tablet genutzt werden, aber auch auf Smartphones, keine separate App wird benötigt.“

Damit sei das Portal auch eine großartige Umgebung für das eigene Üben und Lernen, so die Lehrerin weiter.

Schülerinnen und Schüler können im Schulbuch lesen und ihr neues Wissen direkt in verschiedenen Übungen anwenden und vertiefen.

Da die Schülerinnen und Schüler die Lehrwerke auf ihren Smartphones immer bei sich hätten, würde das Lernen deutlich flexibler.


Leichteres Differenzieren und eine einfachere Vorbereitung

Anneli Dietrich schwärmt weiter und nennt einen aus ihrer Sicht besonders relevanten Vorteil:

„Die Lernplattform unterstützt beim Differenzieren und erleichtert es, verschiedene Lehrmaterialien zu einem Thema bereitzustellen. Falls nötig, lassen sich schnell Aufgaben finden, die einzelnen Schülerinnen und Schülern besser entsprechen oder gefallen.“

Aufgrund der Vielfalt der zur Verfügung stehenden Inhalte werde auch die Vorbereitung des Unterrichts einfacher, da Lehrkräfte nicht mehr selbst verschiedene Tutorials, Videos und Bilder zu den Texten zusammenstellen müssten, sondern digitale Schulbücher diesen Job schon erledigt hätten.

„Und wo gewollt oder nötig, lassen sich auch eigene Materialien problemlos in die digitale Lernumgebung integrieren“,

unterstreicht Anneli Dietrich. Einen weiteren Vorteil beschreibt die Lehrerin so:

„Ein Schlüsselwort des modernen Unterrichts ist vernetzendes Lernen, das Lernschwierigkeiten vermeiden will, indem die verschiedenen Fächer und Themen miteinander in Beziehung gesetzt werden. Die digitale Lehrbuchplattform erleichtert dies.“


Flexibleres Arbeiten mit Texten

Und auch in Hinblick auf die Textarbeit sieht Dietrich die Vorzüge der digitalen Schulbücher, da die Lernenden die Texte stärker an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen könnten:

„Schülerinnen und Schüler können direkt nach Schlüsselbegriffen suchen, die Texte in der Größe anpassen, mit Copy und Paste Informationen schnell zusammenfügen etc.“

Noch ein Vorteil: Auch das Markieren und Unterstreichen sei endlich kein Problem mehr und die Bücher würden nicht für folgende Generationen ruiniert werden. Doch bei so vielen Vorteilen und Pluspunkten wollte ich natürlich auch wissen, welche Nachteile oder Probleme die Lehrerin beim Einsatz digitaler Schulbücher sieht.

Doch Nachteile konnte mir die Lehrerin tatsächlich keine nennen. Das hat natürlich sehr viel mit der extrem guten Ausstattung der Schulen, dem selbstverständlichen Umgang der Lehrkräfte mit dem digitalen Lernen und dem ausgezeichneten Angebot an digitalen Schulbüchern und Plattformen zu tun.

Meine letzte Frage lautete, was Anneli Dietrich Lehrkräften mit auf den Weg geben möchte, die bislang noch nicht mit digitalen Schulbüchern arbeiten. Wie können sie mögliche Hürden überwinden und starten?

„Ich möchte jede Lehrkraft ermuntern, verschiedene digitale Lernumgebungen auszuprobieren. Der Lernprozess wird dadurch abwechslungsreicher und sie helfen dabei, Lernziele zu erreichen. Und letztendlich hat doch jede Lehrkraft einige IT-Kenntnisse und es ist wirklich nicht komplizierter als ein Word-Dokument anzulegen oder eine Power-Point-Präsentation.“

Das macht doch Mut und Lust auf den Einsatz digitaler Schulbücher – oder?! Auch wenn die Rahmenbedingungen dafür bei uns natürlich momentan leider noch nicht mit denen in Estland vergleichbar sind … Der nächste Beitrag führt uns in die Hauptstadt Tallinn und zu der Frage, warum Roboter im Unterricht sinnvoll sind.

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