15. Dezember 2021
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Die Coronavirus-Pandemie stellt alle Menschen vor neue Aufgaben. So auch uns Lehrkräfte im Primarbereich. Jeder muss in kürzester Zeit flexible Wege zur Kommunikation mit den Eltern und Kindern finden, digitale Möglichkeiten des Unterrichtens umsetzen, Wochenpläne erstellen, begutachten etc.

Schultafel mit Lockdown

Als Lehrkraft an einer Brennpunktschule beschäftigte ich mich bereits im ersten Lockdown mit einigen Fragestellungen: Wie erreiche ich wirklich alle Kinder meiner Klasse? Wie kann ich für die Kinder meiner Klasse adäquate Lernangebote für Zuhause schaffen? Wie behalte ich einen Überblick über den Lernstand der Kinder, bevor mit einer neuen Thematik begonnen wird oder eben an eine bereits behandelte Thematik angeknüpft werden kann? Denn nach einiger Zeit ohne Präsenzunterricht und somit ohne die tägliche Arbeit mit den Kindern fehlten uns Lehrenden wertvolle Beobachtungen aus Unterrichtsgesprächen, Einzel- oder Gruppenarbeitsphasen, Konsolidierungen usw. Lernstandsanalysen können hier wertvolle Wegweiser für die weitere Unterrichtsplanung sein.


Problem erkannt – Abhilfe schaffen!

Glücklicherweise erinnere ich mich gemeinsam mit meiner Teampartnerin Susanne Ruppert alias Frau Rabe-Kümmelbein an die Langplanungen im Referendariat. Im Bereich der Lernvoraussetzungen geht es genau darum, diese Lernausgangslagen der Kinder in der Klasse herauszuarbeiten. Doch wie kann man dies am sinnvollsten gestalten, gerade durch die erschwerten Bedingungen während der Pandemie?

Frau Rabe-Kümmelbein & Herr Friederich aus der Grundschule Wunderburg

Frau Rabe-Kümmelbein & Herr Friederich aus der Grundschule Wunderburg


How to: Lernstandsanalyse (LSA)

Gemeinsam wagen wir uns an das Projekt LSA im Bereich „Größen und Messen“ der Gewichte in Klasse 4. Eine sogenannte LSA ist ein Katalog an Aufgaben, die das Vorwissen der Kinder zu einem bestimmten Themenbereich erfassen bzw. abfragen soll. Hierbei bietet es sich an, je nach Klassenstufe und vorfindbaren Strukturen in der jeweiligen Klasse, mit möglichst vielen offenen Aufgaben zu operieren. So erhält man einen noch tieferen Einblick in die Denkstrukturen der Kinder. Achtung, dies kann aber insbesondere bei leistungsschwächeren Klassen schnell zu einer Überforderung und somit zu nichtsaussagenden Erkenntnissen für uns Lehrkräfte führen. Denn das Kernziel einer LSA sollte stets sein, aufschlussreiche Erkenntnisse über den aktuellen Ist-Stand von möglichst jedem einzelnen Kind zu gewinnen. Diese wiederum bilden im besten Falle die Ausgangsbasis der Planung von kompetenzorientierten Unterrichtseinheiten (auch unter Beachtung der qualitativen und quantitativen Differenzierung). Leer abgegebene Blätter führen hingegen wortwörtlich ins Leere. Das muss unbedingt vermieden werden. Deshalb möchten wir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs für Interessierte anbieten.

Exkurs: Unterstützungsmöglichkeiten im Mathematikunterricht

  • Sprachbarrieren können durch Audioaufnahmen auf dem Arbeitsblatt selbst kompensiert werden. Dies lässt sich durch QR-Codes (z. B. Vocaroo) oder Audiostifte (z.B. Anybookreader) realisieren.
  • Aufgabenstrukturen in LSAs sollten sich möglichst an den Kindern bekannten Aufgaben aus dem Unterricht orientieren. Neue Aufgabenformate eignen sich hingegen für leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler. Schließlich geht es nicht darum, die Kinder einem „Stresstest“ zu unterziehen, sondern vorhandene Kompetenzen zu erfassen: „Ich möchte nicht wissen, was du NICHT kannst, sondern das, WAS du kannst!“
  • Um die enaktive Aktivierung hervorzurufen, ist ein Thementisch empfehlenswert. Bei unserem Beispiel würden hier verschiedene Waagen, bzw. Messinstrumente präsentiert, welche die Kinder handelnd erforschen und erproben könnten.
  • Motivierende Aufgabenstellungen helfen zusätzlich: „Na klar kennst du dich mit Gewichten aus! Zeige, was du kannst!“

Ihr habt noch mehr Tipps? Schreibt sie uns gerne in die Kommentare, so können wir alle davon profitieren!


Einsatzmöglichkeiten von Lernstandsanalysen

Version 1: LSA im Distanzlernen

Zuerst ist es uns wie oben angedeutet wichtig, allen Kindern aus unseren Klassen einen Zugang zur LSA zu ermöglichen. Hier erachten wir  je nach Rahmenbedingung(en) zwei verschiedene Versionen als sinnvoll. Kinder mit adäquaten digitalen Endgeräten erhalten sie im etablierten virtuellen Klassenzimmer als interaktives PDF-Dokument. So können die Kinder die LSA ganz bequem am Endgerät ausfüllen und via E-Mail an die Lehrkraft versenden. Kinder ohne diesen Zugang erhalten die LSA klassisch ausgedruckt und füllen sie analog aus. Die Abgabe erfolgt dann parallel zur Ausgabe des nächsten Materialpakets.

Version 2: LSA im Präsenzunterricht

Eine LSA hat nicht nur im Distanzlernen ihre Berechtigung. Auch im „normalen Betrieb“ liefert eine LSA wichtige Informationen zum Lernstand der Kinder einer Klasse. So weiß ich bei der Vorbereitung meines Unterrichts, was mich erwartet. Wo kann ich ansetzen? Welche Vorerfahrungen haben die Kinder? Wo ist akuter Förderbedarf vorhanden?

Version 3: LSA digital

Alternativ ist hier auch die Nutzung zweier bewährter Online-Plattformen möglich. Diese setzen logischerweise digitale Endgeräte voraus. Zum einen eignet sich das Erstellen eines interaktiven Quiz (z. B. über Kahoot) zu den unten genannten Teilbereichen. Hat man ein passendes Quiz erstellt, so lässt sich nun ein Zeitraum für eine „Challenge“ festlegen, in welchem die Kinder die LSA via Endgerät vornehmen. Die Auswertung wird dabei von der Plattform übernommen. Aufgabenbereiche, in welchen die Kinder besonders gut abgeschnitten oder noch Defizite haben, kommen dadurch besonders gut zum Vorschein.
Darüber hinaus bietet sich die Einbindung einer Learning-App, z. B. via www.learningapps.org an. Auch hier kann man durch kleine interaktive Übungen Eindrücke über das Vorwissen der Kinder bekommen. Kleine Kostprobe? Findest du hier.


Location geklärt? Dann geht’s an die Erstellung!

Im zweiten Schritt strukturieren wir den Lernbereich in sinnvolle Teilbereiche hinsichtlich der Kompetenzerwartung im Teilrahmenplan Mathematik Rheinland-Pfalz im angestrebten Inhaltsbereich „Größen und Messen“. Daraufhin erstellt man an die Vorerfahrungen der Kinder möglichst passgenaue Aufgabenstellungen zu den folgenden Teilbereichen:

  • Messinstrumente: geeignete Messgeräte kennen; Gewichte auf Skalen (z. B. Waage) ablesen
  • Einheiten: Einheiten für Gewichte / Massen (g, kg, t) sowie die Beziehung zwischen Einheit und Untereinheit kennen; Größen in unterschiedlichen Einheiten angeben / umwandeln; Kommaschreibweise von Gewichten kennen und anwenden
  • Schätzen: Repräsentanten von alltäglichen Objekten als Stützpunktvorstellungen kennen (z. B. Päckchen Mehl: 1 kg, mittelgroßes Auto: 1 t); auf der Grundlage von Stützpunktvorstellungen Gewichte / Massen schätzen
  • Ordnen & Vergleichen: Gewichte bestimmen, vergleichen und ordnen
  • Kann das stimmen?: zu Sachproblemen mit Größen mathematische Aufgabenstellungen formulieren und lösen; Bezugsgrößen aus der Erfahrungswelt zum Lösen von Sachproblemen nutzen (z. B. Fermi-Aufgaben); durch Nähern und Schätzen die Ergebnisse auf Plausibilität überprüfen
Lernstandsanalyse Gewichte Klasse 4 KV1

LSA KV 1: Messinstrumente

Lernstandsanalyse Gewichte Klasse 4 KV2

LSA KV 2: Einheiten

Lernstandsanalyse Gewichte Klasse 4 KV3

LSA KV 3: Schätzen/Ordnen

Lernstandsanalyse Gewichte Klasse 4 KV4

LSA KV 4: Vergleichen/Knobeln

Lernstandsanalyse Gewichte Klasse 4 KV1

LSA KV 5: Kann das stimmen?


Ich will nicht wissen, was du NICHT kannst, sondern das, WAS du kannst!

Ein wichtiger Aspekt bei der Durchführung ist, eine angstfreie Atmosphäre zu schaffen. Man möchte ja Kenntnisse über die (vorherigen) Auseinandersetzungen der Kinder mit der anstehenden Thematik oder Erfahrungen aus der Lebenswelt gewinnen. Dies gelingt in Form einer Drucksituation durch eine Leistungsüberprüfung nicht und somit wäre auch das Ziel der Hilfe bei der Unterrichtsplanung und der Frage „An welcher Stelle knüpft jedes Kind am Thema an?“ verfehlt.


LSA geschrieben? Nun folgt die Auswertung!

Hat man die LSA mit den Kindern durchgeführt, kommt es nun zur Auswertung. Es bietet sich an (angelehnt an kompetenzorientierte Rückmeldebögen bei Leistungsnachweisen), eine tabellarische Übersicht mit Feldern für Bemerkungen zu erstellen. Nach und nach füllt man dann die Felder zu jedem Kind aus, eventuelle Bemerkungen kommen dazu. Nutzt man noch Farben zur Gestaltung von besonders guten oder defizitären Bereichen, erhält man einen noch besseren Überblick über die jeweiligen Teilbereiche. Das Übersichtsblatt sowie die von den Kindern ausgefüllten Arbeitsblätter kann man wahlweise gemeinsam in einem Ordner ablegen oder die Kinder heften ihre LSA in ihre individuellen Portfolios zu anderen bereits gesammelten Leistungsnachweisen. Hierdurch kann man die LSA mit dem nach der durchgeführten Unterrichtseinheit geschriebenen Leistungsnachweis vergleichen und die Kinder darüber reflektieren lassen. Wo war ich und wo bin ich nun wissenstechnisch?

Für uns Lehrkräfte sollte die dokumentierte Auswertung hilfreich bei der Planung einer kompetenzorientierten Unterrichtseinheit sein.

  • Eine LSA gibt uns Lehrkräften Sicherheit und Struktur. Dies überträgt sich auf die Kinder.
  • Man fühlt sich als Lehrkraft helfender. Man hat durch die Sicherheit mehr das Gefühl, jedes Kind entsprechend unterstützen zu können.
  • Viele Probleme im Laufe der Unterrichtseinheit entstehen erst gar nicht, weil man vorher präventiv dafür gewappnet ist.
  • Eine LSA hilft bei der Gestaltung von qualitativer und quantitativer Differenzierung. Vielleicht eignet sich sogar eine Staffelung in drei Leistungsgruppen und in den Gruppen dann je nach Klassensituation noch feinere Abstimmungen.
Lehrerin mit Kind am Computer

Der Lernbereich „Größen & Messen“ bietet sich besonders für die Konzeption von LSAs an, da die verschiedenen Größenbereiche nicht permanent präsent sind und in allen Klassenstufen aufbauend unterrichtet werden. Es kommt von Klassenstufe zu Klassenstufe ebenfalls u. a. zur Erweiterung der Stützpunktvorstellungen. Natürlich eignen sich aber auch alle anderen Inhaltsbereiche (Raum & Form, Zahlen & Operationen, Daten, Häufigkeit & Wahrscheinlichkeit sowie Muster & Strukturen) zur Anwendung einer LSA. Stets zu beachten sind beispielsweise die Passgenauigkeit auf die Lerngruppe und weniger Text (vor allem in Klasse 1) in den Aufgabenstellungen.


Und du so?

Natürlich stellt diese Vorgehensweise nur eine Alternative dar. Wie habt ihr während des Fern- und Wechselunterrichts den Überblick über den Lernstand eurer Klassen gemanagt? Wie handhabt ihr es im regulären Unterrichtsalltag? Kommentare zu euren bisherigen Erfahrungen oder zur vorgestellten Alternative würden uns sehr freuen.

Beitrag von Thore Friederich in Zusammenarbeit mit Frau Rabe-Kümmelbein alias Susanne Ruppert


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