12. Juni 2020
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In meinem Blog-Artikel zu den Tablet-Diktaten habe ich von den ausbaufähigen Rechtschreibkompetenzen meiner Schülerinnen und Schüler und der damit verbundenen Unzufriedenheit erzählt, die sich in mir breit machte.

Zeitgleich ergab sich die Notwendigkeit, den offenen Anfang – also die Zeit vor Beginn des eigentlichen Unterrichts – neu zu strukturieren. Zwei Probleme, eine Lösung. Und von dieser möchte ich in diesem Artikel berichten.


Drei Punkte für die Neugestaltung des offenen Anfangs

Der offene Anfang erstreckt sich an unserer Schule über 20 Minuten vor Unterrichtsbeginn. Durch die Flut an Hausaufgaben, die sich durch die Klassenleitung einer jahrgangsübergreifenden Klasse 3/4 ergeben, sitze ich aber bereits 30 Minuten früher an meinem Pult. Bislang haben die Kinder in dieser Zeit angefangene Arbeitsblätter beendet oder sich an den Freiarbeitsmaterialien bedient.

Eine große Unruhe, denn ich musste immer schauen, dass jeder etwas zu tun hat und dass es keinen Streit gibt – mit dem Endergebnis, dass ich letztendlich über den gesamten Schulmorgen verteilt die Hausaufgaben kontrolliert habe. Änderungsbedarf! Sofort!

grünes Ausrufezeichen

Wie sollte unser „neuer“ offener Anfang aussehen? Wenn eine gute Fee zu mir gekommen wäre und ich mir einen neuen offenen Anfang hätte wünschen können, wären dies meine Antworten gewesen:

  1. Ruhe
  2. Struktur
  3. Lernzuwachs

Gute Feen gibt es nur im Märchen, ich musste mich also aus der eigenen Lehrerzauberkiste bedienen.

An dieser Stelle erscheint nun die böse Rechtschreibhexe in Form der (noch) sehr schwankenden Rechtschreibkompetenzen meiner Schülerinnen und Schüler. Ein Zaubertrank aus mehreren Komponenten sollte die Lösung des Problems werden: „Geschickt kombiniert, ist halb gewonnen“ – Jeder Kombiklassenlehrer weiß, wovon ich spreche.


Punkt 1: Ruhe

Um einen ruhigen Start in den Schulmorgen zu gewährleisten, braucht es Aufgaben, die ohne Erklärung für die Schüler zu meistern sind und Rituale, die ihnen Halt geben. Wenn ich also eine Lerntheke mit Arbeitsblättern zu verschiedensten Rechtschreibphänomenen bereitstelle, kommen Rückfragen. Es kommt zu Laufwegen, die für Unruhe sorgen und die Korrektur muss gewährleistet sein. Entspanntes Kontrollieren der Hausaufgaben? Fehlanzeige.

Abschreibtexte bieten die Möglichkeit, die Rechtschreibung ohne Papierflut und immensen Aufwand in einer ruhigen Atmosphäre zu trainieren. Schreiben die Kinder ab, sind sie ruhig und konzentriert. Alle haben die gleiche Aufgabe, jedoch kann sowohl quantitativ (mehr oder weniger Sätze) als auch qualitativ (Schwierigkeit und Komplexität der Wörter und Sätze) differenziert werden. Durch den Verzicht auf Groß- und Kleinschreibung wird das Regelverständnis der Kinder trainiert. Auch hier kann differenziert werden: Kinder mit einem erhöhten Förderbedarf erhalten den Text mit gesetzter Groß- und Kleinschreibung.


Punkt 2: Struktur

Verlässliche Strukturen im Schulalltag, Rhythmisierung und Rituale sind essentiell für ein angenehmes Lernklima. Sind Aufgaben ebenfalls klar strukturiert und Arbeitsabläufe ritualisiert, fällt die Bearbeitung leichter und die Kinder kommen zügig voran.  Abschreibtexte sind per se einfach strukturiert und die Aufgabe klar abgesteckt.

Zusätzliche Strukturierung bringt ein weißes Blatt, mit dem man den Text so abdecken kann, dass nur der aktuelle Satz zum Abschreiben zu sehen ist. Eine mögliche Rhythmisierung könnte so aussehen, dass die Kinder nach dem Ankommen zunächst ihre Hausaufgaben abgeben und dann mit dem Abschreiben beginnen:

1. Text abschreiben

Alle Kinder haben ein Rechtschreibkrönchen-Heft mit entsprechender Lineatur und einem breiten Rand, da so die Fresch-Symbole zur Korrektur besser notiert werden können. Auf der ersten Innenseite klebt eine Übersicht der Fresch-Symbole zur Wiederholung, da diese bei der Korrektur eine wichtige Rolle spielen. Auf der letzten Innenseite befindet sich der Sammelpass für die Rechtschreibkrönchen. Beide Materialien befinden sich im Download-Paket zu diesem Artikel.

Die Art der Bereitstellung der Abschreibtexte kann individuell erfolgen. Mittels meiner interaktiven Tafel in meinem Klassensaal öffne ich die PDF-Datei und aktiviere den Vollbildmodus, um den Text möglichst groß zu präsentieren. Einzelne Kinder werden durch den Blick an die Tafel häufig abgelenkt. Deshalb kommen sie mit einem Tablet nach vorne, fotografieren den Text und stellen das Tablet anschließend vor sich auf den Tisch. Wenn ein Kind eine differenzierte Variante erhält, also gekürzt und/oder mit richtiger Groß- und Kleinschreibung, drucke ich diese aus und klebe sie in das Rechtschreibkrönchen-Heft hinein.

2. Eigenkorrektur

Ist der Text fertig abgeschrieben, kontrollieren die Kinder, ob sie alle Wörter geschrieben haben und überprüfen die Groß- und Kleinschreibung.

Strategie Groß und klein

3. Erstkorrektur

Wenn die ersten Kinder mit dem Abschreiben fertig sind, ist in der Regel bereits ein großer Teil des Hausaufgabenberges abgetragen und somit Kapazitäten für die Korrektur der Texte frei. Je nach Rechtschreibkönnen des jeweiligen Kindes notiere ich entweder lediglich die passende Fresch-Strategie zur Berichtigung eines Fehlers am Zeilenrand oder ich setze einen dezenten Punkt unter das falsche Wort. Die Verwendung der Fresch-Symbole zur Korrektur bedarf ein wenig Übung, aber mit der Zeit gelingt dies ohne Nachdenken. Versprochen.

Niko schwingen

4. Verbesserung

Nun gehen die Kinder mit ihren Heften zurück an den Platz und korrigieren ihre Fehler. Auch sie bekommen bereits nach kurzer Zeit Routine in der Verbesserung mit Fresch-Strategien.

Fresch Strategien

5. Zweitkorrektur

Nach der Verbesserung kommen die Kinder erneut zur Kontrolle ans Pult. Jetzt wird es spannend für alle Beteiligten! Ist der Text nun fehlerfrei? Herzlichen Glückwunsch! Es gibt dafür ein Rechtschreibkrönchen. Anfangs hatte ich dafür einen Stempel. Mittlerweile male ich formschöne Krönchen in Rekordzeit selbst. Geht schneller.

Wenn noch Fehler vorhanden sind, bin ich tatsächlich streng und gebe kein Krönchen. Natürlich gibt es Ausnahmen. Wie schlimm wäre es, wenn ein Kind mit einer Lese-Rechtschreibschwäche in der Regel leer ausginge? Das kann kein Lehrerherz verkraften, hier gelten Sonderregeln.

Man könnte an dieser Stelle den Umfang der Korrekturarbeit kritisch hinterfragen. Ja, es ist viel Korrektur. Aber dies ist bei der Rechtschreibung einfach unabdingbar. Wenn die Kinder merken, dass wir Lehrer penibel mit der Rechtschreibung umgehen, dass es uns wichtig ist, dass ihre Fehler verbessert werden, dann ist es auch den Kinder selbst wichtig. Gleiches gilt für die Hausaufgaben. Lege ich als Lehrer wert darauf, dass diese ordentlich und zuverlässig erledigt werden, werden auch die Kinder darauf Wert legen.


Punkt 3: Lernzuwachs

Bei der Organisation des offenen Anfangs war es mir wichtig, die Kinder nicht nur ruhig zu „beschäftigen“, sondern ich wollte die Zeit wirklich sinnvoll nutzen. Anfangs verteile ich natürlich nur wenige Rechtschreibkrönchen. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich an das Abschreiben erst einmal gewöhnen, ihr eigener Blick muss geschult werden. Doch bereits nach einem Monat wird es schlagartig besser. Die Rechtschreibung verbessert sich rasant, die Kinder werden immer flinker. Und: Die Schrift verbessert sich enorm!!! Die Zahl der täglich zu malenden Rechtschreibkrönchen steigt. Meine Viertklässer sind mittlerweile Profis. Es passieren ihnen gar keine Fehler mehr beim Abschreiben und auch die Rechtschreibung beim freien Schreiben sowie nach Diktat hat sich enorm gesteigert. Sie sind rechtschreibsicher.

Bei den Kindern der dritten Klasse habe ich kurz vor der Corona-bedingten Schließung der Schule einen deutlichen Lernzuwachs feststellen können. Dieser wurde nun leider unterbrochen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir dies wieder aufholen können.

Es gibt auch immer wieder Phasen im Schuljahr, in denen ich mit dem Abschreibtraining kurzzeitig aussetze. Zum Beispiel zugunsten der Verwendung von Trainingsheften, z.B. den Anoki-Heften. Die Lösungen zu den Anoki-Heften stelle ich auf den Tablets zur Verfügung, so dass ich auch hier für mich die notwendige Zeit für die Hausaufgabenkorrektur habe.

Der zeitliche Umfang des offenen Anfangs

Vor der Neustrukturierung hatte ich für den offenen Anfang 20 Minuten vorgesehen, mittlerweile beginne ich allerdings erst um 8.15 Uhr mit dem „eigentlichen“ Unterricht. So haben auch die Kinder die Möglichkeit, den Text abzuschreiben, die relativ knapp vor Unterrichtsbeginn kommen. Schülerinnen und Schüler, die bereits fertig sind, dürfen sich am „Buffet“ bedienen, das ich für Mathe und Deutsch zur Verfügung stelle. Dahinter verbergen sich verschiedene Freiarbeitsmaterialien sowie die Nutzung von Lern-Apps am Tablet. In meinem Blog befinden sich hierzu kostenlose Downloads.

Für Abwechslung zwischen den Phasen mit Abschreibtexten sorgen die Anoki-Hefte vom Klett-Verlag. Auch sie eignen sich hervorragend für den offenen Anfang, da sie selbstständig erarbeitet werden können.

Und was passiert nun mit den Rechtschreibkrönchen?

Natürlich freuen sich die Kinder allein wegen der Bestätigung durch die Rechtschreibkrönchen. Die Tatsache, dass diese nicht inflationär verteilt werden, macht die Krönchen besonders und die Kinder sind stolz, wenn sie eines erhalten – klassisches Token-System eben. Allerdings ist es mir wichtig, die Krönchenausbeute der Schülerinnen und Schüler nicht für jeden sichtbar im Klassenraum aufzuhängen. Das erzeugt Druck. Angstfreies Unterrichten muss immer oberste Priorität haben – deswegen auch die „Sonderregeln“ bei leistungsschwächeren Kindern. Wir sammeln also still und heimlich am Ende des Heftes. Um dem Krönchen quasi noch die Krone aufzusetzen, setze ich für jedes gesammelte Exemplar ein Gummibärchen als Belohnung aus. Allerdings zähle ich nicht die Krönchen pro Kind, sondern es werden alle Krönchen aller Schüler zusammengezählt! Diese Anzahl an Gummibärchen werden wiederum gerecht an alle verteilt. Wir sammeln also für unsere Klassengemeinschaft!

Eines kann ich mir jedoch nicht verkneifen. Wenn dann jedes Kind seine duftende Gummibärchenration in einem Pappbecher vor sich stehen hat, muss ich einfach noch eine Gummibärchen-Knobelkartei in Mathe austeilen. Als Krönung. Zum Schluss.

Vielleicht habt ihr ebenfalls Erfahrungen bei der Gestaltung des offenen Anfangs sowie der Verbesserung der Rechtschreibkompetenzen? Ich freue mich über Anregungen und Ideen in den Kommentaren.

Eure Mrs. Rupäd

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