12. Januar 2022
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Montagmorgen in der Lesestunde. Die Kinder lesen den Text „Freunde fürs Leben“ aus dem Niko-Lesebuch. Ein Kind kämpft sich stockend durch die kurze Geschichte, verschluckt Wortendungen, dehnt einige Wörter wie beispielsweise Zopf und Kuss oder lässt einzelne Wörter aus. Am Ende überrascht es nicht, dass es diesem Kind schwerfällt, den Textzusammenhang zu erfassen und Fragen zu beantworten. Hier reicht eine schlichte kurze Lesetrainingsphase in stiller Einzelarbeit nicht mehr aus. Eine mögliche Methode, die Lesekompetenz auszubauen, ist das Partnerlesen. Dabei schaffen wir es im Team, die individuelle Lesegeläufigkeit zu trainieren. Wie das funktionieren kann? Lest selbst! 😉


Partnerlesen im neuen Niko – Warum?

Ein Blick auf die ersten Seiten der neuen Lesebuchausgaben zeigt uns, dass das Partnerlesen bei Niko an Bedeutung gewonnen hat. Warum?

  • Muss sich das Kind noch sehr auf das Erlesen einzelner Wörter konzentrieren, sind nicht mehr ausreichend Kapazitäten für die Prozesse zum Textverständnis vorhanden.
  • Die Lesegeläufigkeit ist damit eine wesentliche Voraussetzung für das sinnentnehmende Lesen.
  • Das flüssige, genaue und automatisierte Lesen wirkt folglich entlastend für die Denkprozesse, die das Leseverständnis einfordert.
  • Aus diesem Grund brauchen wir im Unterricht ritualisierte Methoden, die die Lesegeläufigkeit, also das flüssige, genaue und automatisierte Lesen, trainieren.
  • Für das Schulen des geläufigen Lesens braucht es nicht nur die freie stille Lesezeit, sondern besonders auch kürzere Texte, die die Kinder mehrfach hintereinander lesen, damit bestimmte Buchstabenfolgen besser im Gedächtnis bleiben und der Sichtwortschatz erweitert wird. Der Sichtwortschatz beinhaltet Wörter, deren Schriftbild unser Gehirn als Ganzes abgespeichert hat, sodass nicht mehr Buchstabe für Buchstabe erlesen werden muss.
  • Kinder lesen in der freien Lesezeit nur für sich und nicht hörbar. Lautlesen dagegen fordert bewusst und direkter das genaue Lesen ein.
Niko Partnerlesen

Niko Lesebuch 3, Seite 5


Das Partnerlesen als eine mögliche Methode im Unterricht

Im Unterricht las ich den Kindern zum Einstieg einen Satz mit vielen Fehlern vor. Sie erkannten, dass manche Leseungenauigkeiten und Fehler das Textverstehen erschwerten. So hatte ich eine gute Überleitung zum Partnerlesen als Training für das genaue und flüssige Lesen.

Anhand der Ablaufübersicht, die ihr im Downloadbereich dieses Artikels finden könnt, habe ich den Kindern das Vorgehen beim Partnerlesen erklärt:

  • Das Team trifft sich am festgelegten Trainingsort (z. B. ein bestimmter Tisch).
  • Die Lesefolie wird über den ausgewählten Text des Lesebuches gelegt.
  • Gemeinsam lesen sie den Text halblaut im gleichen Tempo. Für den gemeinsamen Start können sie sich ein Startzeichen überlegen (z. B. „Auf die Plätze, fertig, los!“ oder „1, 2, 3 – los!“)
  • Beide führen den Finger unter den Wörtern mit.
  • Stocken sie oder wird ein Lesefehler erkannt, wird die Stelle markiert.
  • Das Wort wird wiederholt und ggf. die Bedeutung geklärt.
  • Beide beginnen gemeinsam wieder am letzten Satzanfang.
  • Am Ende des halblauten Lesens werden alle schwierigen Stellen noch einmal wiederholt. Durch die Markierungen auf der Folie können sie gut wiedergefunden werden.
  • Im Anschluss wird der Text erneut gemeinsam halblaut gelesen. (Insgesamt sollte er drei- bis viermal gelesen werden.)
  • Als zusätzliche Aufgabe im Team können die beiden Partner noch einzeln vorlesen und sich dann eine Lese-Jubel-Karte übergeben, um zu zeigen, was gut geklappt hat.
Niko Partnerlesen Vorgang

In der Literatur ist das Partnerlesen bekannt als Tandemlesen. Hier übernimmt das lesestärkere Kind die Rolle des Trainers und das leseschwächere die Rolle des Sportlers. Je nach Situation und Sozialgefüge in der Klasse lässt sich das Tandemlesen gut so durchführen. Wichtig ist dann eine Einführung, die den Kindern den Zusammenhang zwischen dem Lesetraining und dem Sporttraining sowie die Aufgaben von Trainer und Sportler verdeutlicht. Ich habe aber bewusst aus pädagogischen Gründen auf die betitelte Rollenverteilung verzichtet.

Auf den Kompetenzunterschied zwischen den beiden Partnern habe ich bei der Zusammensetzung der Teams allerdings nicht verzichtet. Das hat einen wichtigen Grund. Stellen wir uns zwei Kinder vor, die im Bereich des Lesens ungefähr auf der gleichen Stufe stehen. Beide lesen zeitweise noch stockend, dehnen oft Vokale und verändern Wortendungen.

Wenn diese beiden einen Text mit dem Wort Zopf lesen und dieses dehnen, so werden sie sich wahrscheinlich erst einmal nicht korrigieren. Lesen sie aber mit einem etwas lesestärkeren Kind, so werden sie beim gemeinsamen halblauten Lesen mitgezogen und können sich verbessern, sodass das Wort Zopf durch das richtige Aussprechen eine Bedeutung bekommt. Ein Kompetenzunterschied zwischen den beiden Partnern sollte folglich zwar da sein, aber überschaubar groß.

Man könnte den Eindruck bekommen, dass das lesestärkere Kind nicht viel aus dem Partnerlesen mitnimmt, aber dem ist nicht so. Es muss sich auf das Lesetempo des anderen einlassen und seinen Sichtwortschatz nutzen, um Leseungenauigkeiten schnell zu erkennen. Die Lesegeläufigkeit wird gestärkt.


Möglichkeiten der Teambildung

Nach der Einführung der Methode müssen die Partnergruppen gebildet werden.

Wie kann man die Teams so zusammenstellen, dass sich das stärkere Kind nicht langweilt und das leseschwächere Kind nicht das Gefühl bekommt, viel weniger zu können?

Niko auf Fahrrad
  • Je nachdem, mit welcher Klasse man startet, wählt man einen altersangemessenen Text aus. Das kann z.B. ein mittlerer Niko-Lesebuchtext sein.
  • Man lässt ein Kind eine Minute vorlesen.
  • Während das Kind liest, markiert man auf einer Kopie des Textes Lesefehler (z.B. falsche Dehnung, fehlende Endungen, ausgelassene Wörter usw. Fehler, die das Kind selbst korrigiert hat, werden nicht mitgezählt.) und Stellen, an denen das Kind stockt.
  • Nach 60 Sekunden wird der Lesevortrag gestoppt. Nun kann man erkennen, wie viele Wörter ein Kind in einer Minute richtig vorgelesen hat. So erhält man einen Eindruck über die Lesegenauigkeit und Leseflüssigkeit.
  • Damit kann man eine Rangliste erstellen, die man für die Teambildung nutzen kann. Nehmen wir als Beispiel eine Gruppe von zehn Kindern. Nach dem Erfassen der richtig gelesenen Wörter in einer Minute notiert man sich eine Rangliste und zieht eine Linie nach dem fünften Kind. Ein Team könnte nun das 1. Kind mit dem 6. bilden, das 2. mit dem 7., das 3. mit dem 8. usw.
  • Bei meiner eigenen Durchführung ergab sich dabei eine Teamkonstellation aus zwei Kindern, die aus verschiedenen Gründen nicht miteinander arbeiten konnten. Daher habe ich die Zusammenstellung verändert. Dabei habe ich geschaut, dass die Unterschiede nicht zu groß werden.
  • Bei einer ungeraden Schülerzahl kann man eine Dreiergruppe bilden.
  • Wie Kinder mit einem Förderschwerpunkt in das Partnerlesen integriert werden können, hängt von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel vom Stand ihrer Leseentwicklung. In meiner zweiten Klasse war zu Beginn des Partnerlesens ein Kind mit dem Förderschwerpunkt Lernen, das noch dabei war, die Buchstaben zu vertiefen sowie erste Silben und Wörter zu lesen. Ich habe dieses Kind zwischendurch einem Leseteam zugeordnet, das dann für das Kind passende Wörter und kurze Sätze gemeinsam halblaut gelesen hat. In meiner aktuellen Klasse sind ein Kind mit dem Förderschwerpunkt Lernen und eines mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung, die sich in einem Team gut ergänzen.

Reflexion

Das Lesen im Team eröffnet eine Möglichkeit zum halblauten Lesen, bei der jeder gefragt und gefordert ist. Aus meiner eigenen unterrichtlichen Erfahrung kann ich sagen, dass eine gute Einführung der Methode zwar Zeit kostet, aber dazu führt, dass die Arbeit in überlegt zusammengestellten Teams danach sehr routiniert abläuft. In der Literatur wird empfohlen, das Lesen im Tandem mindestens dreimal pro Woche für jeweils ungefähr 15 bis 20 Minuten durchzuführen. Das schaffe ich oft im Unterrichtsalltag nicht. Zweimal in der Woche klappt es aber meist schon, insbesondere, weil ich das routinierte Arbeiten im Tandem auch in den anderen Fächern nutze. So lasse ich die Kinder beispielsweise auch im Sachunterricht immer wieder in ihrem Tandemteam zusammenkommen, um gemeinsam einen Sachtext zu erlesen. Dies führt dazu, dass sich die Kinder eher über unbekannte Begriffe austauschen, diese erklären, gezielt nachfragen und sich durch das mehrfache Lesen das Wortbild und damit auch Fachbegriffe einprägen.


Ausblick

Das Partnerlesen ist sicherlich kein Allheilmittel für alle Leseschwierigkeiten und Hürden im Leseprozess. Es bietet aber eine Möglichkeit, die Entwicklung der Kinder hin zu einer Lesekompetenz effektiv zu unterstützen.

Wenn das Training der Lesegeläufigkeit ritualisiert immer wieder Raum im Leseunterricht findet, ist der nächste Schritt die Arbeit mit Lesestrategien, die den Weg zum komplexen Textverstehen begleiten können.

Wie Text-Vor-Entlastung und Lesestrategien in der neuen Niko-Auflage ihren Platz finden, könnt ihr in meinem nächsten Blogartikel erfahren.

Jetzt wünsche ich euch erst einmal viel Erfolg bei der Teambildung und dem ersten Partnerlesen!


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